Yehor Milohrodskyi | unsplash
„Man kommt sich wie auf einer Insel vor“
Ausbildungsbedingungen in der Landwirtschaft gehen uns alle an
Text: Lucia Parbel | veröffentlicht am 30. Oktober 2024
„Die Maschinen, die ich am Ende bedienen konnte, waren die Melkanlage und der Kärcher.“ Das sagt Laura, gelernte Landwirtin, rückblickend über ihre Ausbildung. Als lesbische Frau auf einem Milchviehbetrieb auf dem Land in Nordrheinwestfalen habe sie sich die ganzen zwei Ausbildungsjahre über sehr isoliert gefühlt – und erst danach gemerkt, dass es Anderen geht wie ihr: Frauen und queere Menschen in der Landwirtschaft werden oft schlechter ausgebildet, fühlen sich einsam, erfahren Mobbing, Gewalt und Diskriminierung.
Für meine Bachelorarbeit habe ich Laura, drei weitere ausgebildete Landwirt*innen und eine ausgebildete Gärtnerin zu ihren Erfahrungen während der staatlichen Ausbildung interviewt. Alle fünf Befragten bezeichnen sich selbst als queer, das heißt, sie sind nicht heterosexuell und/oder identifizieren sich nicht uneingeschränkt mit dem Geschlecht, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde. Die Ergebnisse meiner Arbeit weisen darauf hin, dass Sexismus und Queerfeindlichkeit strukturelle Probleme in der landwirtschaftlichen Ausbildung sind.
Das ist alarmierend, weil laut Grundgesetz allen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Sexualität die gleiche, respektvolle Behandlung am Arbeitsplatz zusteht – und weil das Risiko besteht, dass Frauen und Queers deshalb vor der Ausbildung zurückschrecken oder sie abbrechen.
Queeres Leben gehört zur Landwirtschaft
Frauen sind laut Statistik in der Ausbildung unterrepräsentiert: Nur ein knappes Viertel der Azubis in den landwirtschaftlichen Ausbildungsberufen sind weiblich. Nichtbinäre Azubis werden in der Statistik nicht erfasst. Das bedeutet aber nicht, wie ein weit verbreitete Vorurteil besagt, dass es queere Menschen auf dem Land nicht gibt.
Allerdings gehen queere Menschen im ländlichen Raum seltener offen mit ihrer Identität um: In einer Befragung zum „Queeren Bayern 2020“ gaben 40 Prozent der im ländlichen Raum lebenden Befragten an, ihre Identität meistens zu verbergen. In der Stadt waren es deutlich weniger (30 Prozent).
Queeres Leben gehört genauso zum Land und zur Landwirtschaft wie heterosexuelles und cisgeschlechtliches, auch wenn es weniger sichtbar ist. Die Branche kann es sich angesichts stetig wachsender Herausforderungen – Klimakrise und Verlust ökologischer Vielfalt, um nur zwei zu nennen – nicht leisten, auf motivierten queeren und weiblichen Nachwuchs zu verzichten oder diesen schlecht auszubilden. Viel mehr sollte die Ausbildung für queere Menschen und Frauen genauso attraktiv sein wie für junge, heterosexuelle Männer. Dafür muss sie aber erst einmal sicherer werden.
Diskriminierung ist weit verbreitet
Alle jungen Fachkräfte in meiner Studie erfuhren während ihrer Ausbildung Sexismus und Queerfeindlichkeit. Zum Beispiel wurde Studienteilnehmerin Martina in der Berufsschule als einzige Frau so heftig gemobbt, dass sie sich kaum traute in den Unterricht zu gehen. Teilnehmerin Laura wiederum berichtete davon, wie sie schon bei ihrem Vorstellungsgespräch auf ihrem späteren Ausbildungsbetrieb beiläufig erwähnte, dass sie mit einer Frau zusammen sei; so wollte sie herausfinden, ob ihr Chef und ihre Chefin homophob eingestellt waren oder nicht.
Sie beschrieb, wie schwer es ihr gefallen sei, in dieser Situation etwas derart Privates erzählen zu müssen. Es sei aber einfach notwendig gewesen, damit sie sich sicher fühlen konnte. Andere Befragte hingegen versteckten ihre Queerness während ihrer ganzen Ausbildung, weil sie befürchteten, abgelehnt oder ausgeschlossen zu werden. Dieses strategische Verstecken eines großen Teils ihrer Person wirkt isolierend und eine Folge von Queerfeindlichkeit.
Queere Lebensentwürfe werden marginalisiert
Isolation und Marginalisierung queerer Menschen haben auch damit zu tun, dass heterosexuellen Liebesbeziehungen gesamtgesellschaftlich ein höherer Stellenwert als queeren Beziehungen zugeschrieben wird. Heterosexuelle Liebe wird gefeiert: am Valentinstag, zur Hochzeit und zum jährlichen Hochzeitstag und sie ist vor dem Gesetz privilegiert. Die heterosexuelle Zweierbeziehung ist quasi der „Goldstandard“ der Romantik und Sexualität, an dem wir – bewusst oder unbewusst – andere Beziehungsweisen messen. Diesen Zustand nennt man Heteronormativität. Von Heterosexismus wird gesprochen, wenn nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe abgewertet werden, ob durch offene Ablehnung oder das Verdrängen queeren Lebens an den gesellschaftlichen Rand. Das hat überall in Deutschland Tradition, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.
In der Landwirtschaft ist aber besonders, dass sich Leben und Arbeiten in der Regel an einem Ort vermischen: auf dem bäuerlichen Familienbetrieb. Dadurch werden Heteronormativität und -sexismus wie durch ein Brennglas verstärkt, selbst, wenn die Betriebsleiter*innen das nicht bewusst tun. Wie „auf einer Insel“ sei sie sich vorgekommen, sagte Teilnehmerin Laura über ihre Ausbildungszeit.
Rollenbilder engen ein
Das heterosexuelle Lebensmodell vieler Betriebsleiterpaare beeinflusst nicht nur das Familienleben, sondern auch die Aufteilung der Arbeit im Betrieb. Oft ist es selbstverständlich, dass die Frau die Haus- und Pflegearbeiten übernimmt – häufig in der Position der „helfenden Hand“ des betriebsleitenden Mannes, wie es die Agrarsoziologin Elisabeth Prügl formuliert.
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Aber auch, wenn die Frau selbst Betriebsleiterin ist, bleibt die Aufteilung der Aufgaben klar gegendert: Der Mann bei den Maschinen und auf dem Acker, die Frau in der Küche, im Stall, in vielen Fällen in einem anderen Job („Nebenerwerb“ genannt), der oftmals den Hauptanteil des Familieneinkommens ausmacht und die Landwirtschaft überhaupt erst ermöglicht. Das zeigen die Ergebnisse einer aktuellen, groß angelegten Studie über die Situation landwirtschaftlicher Frauen, die vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördert wurde.
Diskriminierung sichert bestehende Verhältnisse
Viele Frauen sind zwar in die landwirtschaftlichen Arbeiten eingebunden, aber das Grundverständnis versteift sich darauf, alle „Außenwirtschaft“ (das heißt: Acker und Maschinen) als „Männerarbeit“ zu betrachten. Diese strenge Rollenverteilung engt alle, insbesondere aber queere Menschen ein, die sich nicht dem binären Geschlechtermodell unterordnen wollen.
Diskriminierung entsteht da, wo Frauen und queere Menschen sich einen Platz zwischen „Männerarbeiten“ und „Frauenarbeiten“ suchen. Sie funktioniert als „Platzverweis“, wie die Agrarwissenschaftlerin Sylvia Hanisch schreibt. Ein sehr eindrückliches Beispiel hierfür musste Studienteilnehmerin Martina erleben. Ihre Kollegen nannten sie während ihrer ganzen Zeit auf dem Betrieb „Martin, Junge“ und mobbten sie, nachdem sie sich ihnen gegenüber als lesbisch geoutet hatte und wann immer sie Schlepper fuhr.
Arbeitsteilung neu denken
Meine Interviewpartner*innen hatten einige Ideen, um die Ausbildung zu einem sicheren und schöneren Ort für Frauen und queere Menschen zu machen. Zum Beispiel fordern sie von Ausbilder*innen, sich besser über Geschlechter(un)gerechtigkeit und Queerness zu informieren. Nur wenn Ausbilder*innen verstehen, wo und wie festgefahrene Geschlechterrollen ihre Azubis einengen, können sie das ändern. Und auch in der eigenen Arbeitsteilung im Haus und auf dem Hof können die Betriebsverantwortlichen mit gutem Beispiel vorangehen. Martina erzählte von ihrem zweiten Ausbildungsbetrieb, dass dort jeden Tag jemand anders mittags in der Küche stand und Essen für alle kochte – egal, ob Mann oder Frau. Die Küche, traditionell in der Verantwortung der Frau, wurde also weniger streng einem Geschlecht zugeordnet.
Das Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs – eines der Lieblingsschlagwörter nicht nur der Bundesregierung sondern auch der Agrarwendebewegung – sind zu eng, um festgefahrene Muster aufzubrechen. Feministische Stimmen in der Landwirtschaft fordern darum nicht erst seit Kurzem, über den Familienbetrieb hinaus zu denken und Platz für andere Betriebsmodelle zu machen. Es gibt Hofkollektive wie beispielsweise den Karla*hof, eine queerfeministische Gärtnerei in Brandenburg, wo versucht wird, eine Normalität frei von vergeschlechtlichter Arbeitsteilung und darüber hinaus frei vom binären Genderregime zu schaffen.
Landwirtschaft stellt Geschlecht stetig neu her
Diskriminierung gehörte zum Arbeitsalltag der fünf Befragten. Sie spielten alle deshalb mindestens einmal mit dem Gedanken, die Ausbildung abzubrechen. Letztendlich blieben sie dabei, weil sie eine so hohe intrinsische Motivation für ihren Beruf haben. Sie sind idealistisch und haben sich, trotz aller Widrigkeiten, ihren Platz in der Landwirtschaft erkämpft.
Es sei aber fraglich, ob es ausreichend junge Frauen gebe, die sich „aus idealistischen Gründen und ohne zusätzliche extrinsische Anreize der Landwirtschaft zuwenden“, schreiben die Forscherinnen Christine Niens und Monika Nack in ihrer Studie zur Situation von weiblichen Azubis in der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft braucht deutliche Schritte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit und Queer-Freundlichkeit. Für diesen Wandel ist die Ausbildung ausschlaggebend: Werden Frauen und queere Menschen eher in den „typischen Frauenarbeiten“ ausgebildet, birgt das das Risiko, dass sie auch später im Berufsleben nur in diesen Bereichen arbeiten – so werden festgefahrene Geschlechterrollen immer weiter fortgeschrieben.
Die Ausbildung als Katalysator für Veränderung
Andersherum ist anzunehmen, dass eine geschlechter- und queersensible Ausbildung ebenso nachhaltig das Berufsleben vieler Einzelner – und damit die Branche als Ganze – positiv prägen und verändern kann.
Es ist eine Binse, dass Nachhaltigkeit drei Dimensionen umfasst: eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale. Ebenso klar ist, dass eine nachhaltige Wende – oder gar eine Revolution? – in der Landwirtschaft alle angeht, die essen möchten. Bisher fokussiert die Debatte um die Agrarwende vor allem Probleme technischer Natur und die schwierige Frage nach der ökologischsten und gleichzeitig produktivsten Wirtschaftsweise. Es ist nicht möglich, diese Themen von den Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Branche zu entkoppeln. Über Agrarwende zu sprechen bedeutet also, die Perspektiven von Frauen und Queers ins Zentrum zu rücken.
Viele verschiedene Stimmen anstatt immer der gleiche Schlag Mensch – das ist umso wichtiger in einer Zeit, in der die Landwirtschaft resilienter werden muss. Die Vision ist eine Landwirtschaft, in der es allen gleichermaßen möglich ist, sich mit ihren individuellen Talenten, Fähigkeiten und Ideen einzubringen und den ländlichen Raum zu gestalten.■
Lucia Parbel studiert in Stuttgart Landschaftsökologie im Master und hat einen Bachelor in Agrarwissenschaften. Bei der agora42 arbeitet sie seit Anfang 2024 an der Fertigstellung der Hefte sowie in der Betreuung von Website und Social Media mit.
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