Die Situation in der Care-Arbeit ist weiterhin prekär | Interview mit Mia Smettan

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Die Situation in der Care-Arbeit ist weiterhin prekär

Interview mit Mia Smettan | Konzeptwerk Neue Ökonomie

Kochen, Putzen, Angehörige und kranke Menschen pflegen, sich um andere, um die Umwelt und um sich selbst kümmern, diese Tätigkeiten werden in dem englischen Wort „Care“ zusammengefasst, zu deutsch Sorge- oder Fürsorge-Arbeit. Das Konzeptwerk Neue Ökonomie veranstaltet vom 26. bis zum 28. November 2021 eine Online-Konferenz zu diesem Thema: „Care für globale Gerechtigkeit“. Wir haben mit Mia Smettan über das Thema gesprochen.

„Kurz rückten die Pandemiemaßnahmen ins Rampenlicht, welche Arbeiten wirklich relevant, das heißt gesellschaftlich notwendig sind“, haben Sie in Ausgabe 4/2021 von agora42 geschrieben. Wie sieht zur Zeit die Lage aus? Konnten Care-Arbeiter*innen das Rampenlicht für Ihre Anliegen nutzen? 

Leider hat sich in den vergangene Monaten die Situation in der Pflege eher verschlechtert als verbessert. Wir steuern gerade auf die wohl heftigste Phase der Pandemie zu. Die Inzidenzen erreichen immer neue Höchstwerte, in einigen Bundesländern sind nur noch wenige Intensivbetten frei, in München etwa bereiten sich die Krankenhäuser auf eine Triage vor. Das ist eine enorme psychische Belastung für das Personal. Sie müssen seit vielen Monaten die mangelnde Konsequenz der Corona-Politik und die chronische Unterfinanzierung der Pflege auffangen. Im April gab in einer Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv und Notfallmedizin ein Drittel der befragten Intensivpflegekräfte an, den Beruf in den kommenden zwölf Monaten verlassen zu wollen. Die Berichte über große Frustration und Erschöpfung bei den Beschäftigten mehren sich.

Da ist es umso beeindruckender, dass manche von ihnen derzeit einen erbitterten Arbeitskampf für mehr Personal und bessere Bezahlung in den Krankenhäusern führen. In sechs bayrischen Städten ruft die Gewerkschaft ver.di zu Warnstreiks im Gesundheitswesen auf. Auch in Berlin führt die „Krankenhausbewegung“ gemeinsam mit ver.di seit Anfang des Jahres einen sehr ausdauernden Arbeitskampf und hat damit Erfolg: In den beiden größten Klinikbetrieben der Stadt stehen die Beschäftigten kurz vor dem Abschluss eines neuen Tarifvertrags. Das ist jedoch weniger der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für die Krise im Pflegesektor zuzuschreiben, sondern mehr der Beharrlichkeit und Energie von Care-Arbeiter*innen, die sich trotz großem Druck der Betriebsleitungen für ihre Rechte auf gute Arbeitsbedingungen einsetzen.

Denn in der unbezahlten Care-Arbeit ist die Situation weiterhin prekär. In den Bundesländern mit hohen Inzidenzen müssen wieder Kitas und Schulen geschlossen werden. Dann müssen die Eltern – und das heißt hier nach wie vor meistens die Mütter – wieder Lohnarbeit und Kinderbetreuung gleichzeitig stemmen. Da bleibt wenig Zeit für den Kampf um eine gesellschaftliche Anerkennung der unbezahlten Care-Arbeit. Viele Menschen sind schlicht erschöpft.

 

Auf der Konferenz soll es auch um koloniale Kontinuitäten auf dem globalisierten Arbeitsmarkt im Care-Bereich gehen. Wie zeigen sich diese Kontinuitäten?

BIPOC-Personen (Black, Indigenous, People of Color) mussten schon zu Zeiten der Kolonialisierung abgewertete und unsichtbare Arbeiten wie Care-Tätigkeiten übernehmen.  Oft in extremen Zwangs- und Gewaltkontexten wie Versklavung. Auch damals haben sie als Hausangestellte für weiße, bürgerliche Menschen gearbeitet.

In den letzten Jahren wurden Hausarbeiten in Deutschland immer mehr auf weibliche Arbeitskräfte aus dem globalen Süden und aus Osteuropa ausgelagert. Während weiße (Haus-)Frauen mit deutscher Staatsbürgerschaft in den letzten Jahrzehnten mehr Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen haben, müssen BIPOC-Frauen mit weniger Privilegien weiterhin schlecht bezahlte und unsichtbare Arbeiten erledigen.

Das Fortbestehen von kolonialen Strukturen im Care-Bereich zeigt sich außerdem ganz deutlich in den Arbeitsbedingungen von ausländischen Pflegekräften und Haushaltsangestellten in Deutschland. Um die Personallücken in der Pflege zu stopfen greift Deutschland auf Pflegekräfte aus dem Ausland zurück, zum Beispiel aus Albanien, Vietnam und den Philippinen. Mit diesen Ländern unterhält die BRD Anwerbeabkommen. Ausländische Pflegekräfte und Haushaltsangestellte arbeiten häufig gegen noch weniger Bezahlung  als Arbeitnehmer*innen mit deutschem Pass und mit unsicheren Arbeitsverträgen. Auch hängt ihr Aufenthalt in Deutschland meistens von der Beschäftigung ab, was eine große Abhängigkeit vom Arbeitgeber verursacht.

 

Haben Sie Hoffnung, dass die Ampel-Koalition die Situation im Care-Sektor verbessern wird? Was wären Ihre Forderungen, um wenigstens einen Anfang zu machen?

Leider habe ich wenig Hoffnung, dass die neue Regierung die Krise der Care-Arbeit bewältigt. Es werden zwar kleine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege diskutiert, doch das setzt nicht am Kern des Problems an. Im Gegenteil. Mit der FDP zieht eine Partei in die Regierung ein, die einer radikalen Marktlogik folgt und auf Wirtschaftswachstum setzt. Diese Art des Wirtschaftens führt zu einer Abwertung von Care-Arbeit und zu Zeitknappheit, da diese eben nur begrenzt profitabel ist.

Wir fordern daher eine Arbeitszeitreduzierung auf 30 Stunden für alle, damit alle mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit haben. Außerdem fordern wir eine Vergesellschaftung der Krankenhäuser und Pflegebetriebe statt weiterer Privatisierung für Profitmaximierung. Es ist absurd, den Pflegesektor gewinnorientiert zu gestalten. Wir müssen Menschenleben vor Profite stellen und gute Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungsmöglichkeiten für das Pflegepersonal schaffen.

 

Wie würde sich eine Care-zentrierte Wirtschaft von der heutigen unterscheiden? Gibt es schon heute Ansätze, die Perspektiven aufzeigen?

Eine Care-zentrierte Wirtschaft würde die Bedürfnisse von Mensch, Natur und allen Lebewesen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens stellen – und nicht Profite. Wirtschaft wäre hier Mittel zum Zweck der Schaffung des Lebensnotwendigen und der Umsetzung eines guten Lebens für alle. Was wir dafür brauchen ist Zeit und finanzielle sowie soziale Absicherungen. Daher sind Arbeitszeitverkürzung, das Bedingungslose Grundeinkommen, eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle, günstiger Wohnraum für alle und Zugang zu Bildung für alle wichtige Schritte in diese Richtung.

Es gibt Projekte, die Pionier*innen für diesen Wandel sind. Das Poliklinik-Syndikat mit Häusern in Leipzig, Berlin und Hamburg bietet zum Beispiel günstige Gesundheitsversorgung für alle Menschen an und beteiligt sich an den Mieter*innenkämpfen.

Diese Projekte sind wichtig um zu sehen, dass es auch anders geht! Doch das reicht natürlich nicht. Für einen ganz grundlegenden Wandel müssen wir weg von Dogma des Wirtschaftswachstums und Wirtschaft neu denken – als Werkzeug für ein gutes Leben für alle.

Mia Smettan, vielen Dank für das Gespräch.

Mia Smettan
Mia Smettan ist Mitarbeiterin im Konzeptwerk Neue Ökonomie mit dem Schwerpunkt Care-Arbeit und Feminismus. Dort arbeitet sie für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse aller im Zentrum stehen und Diskriminierung und Machthierarchien abgebaut werden. Sie ist außerdem in feministischen Gruppen und in der Leipziger Hausprojektvernetzung aktiv.
Care für Globale Gerechtigkeit
Online-Konferenz – 26. bis 28. November 2021

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