„Wir zahlen den Preis der verschleppten Energiewende“ | Interview mit Claudia Kemfert

Demonstration gegen fossile EnergienFoto: Callum Shaw | Unsplash

 

„Wir zahlen den Preis der verschleppten Energiewende“

Interview mit Claudia Kemfert

Mit anderen Scientists for Future fordern Sie in einer neuen Studie eine „Wärmewende gegen Erdgasabhängigkeit“ – was ist nötig, um diese Wende zu vollziehen? Warum liegen diejenigen falsch, die meinen, die Energiewende würde die Preise hochtreiben?

Fakt ist: die Preise für fossile Energien, für Öl Gas und Kohle explodieren, Energiesparen und erneuerbare Energien wirken preissenkend. Je weniger Energie wir verbrauchen, desto geringer die Kosten. Hätten wir die Wärmewende in den vergangenen 15 Jahren konsequent umgesetzt, und wären mehr Häuser energetisch saniert, die Wärmepumpen oder erneuerbare Energien nutzen, wären die Kosten heute niedrig. Wir zahlen den Preis der verschleppten Energiewende. Das Verrückte ist: Energiewende, Wärmewende, Verkehrswende wurden allesamt ausgebremst mit dem Argument der angeblich horrend steigenden Kosten. Das Gegenteil ist richtig, wie man aktuell sieht. Wären wir den Narrativen der fossilen Wirtschaft nicht gefolgt, und hätten die Abhängigkeit von der fossilen Wirtschaft nicht so stark forciert, würden wir diese Kosten heute nicht haben. Somit: nicht die Energiewende treibt die Kosten, sondern die Nicht-Energiewende.

In Diskussionen über „die Zukunft der Energie“ oder „die Energie der Zukunft“ wird das Naheliegende oft ausgeklammert: Weniger Energie zu verbrauchen. Sowohl in der Wirtschaft als auch im privaten Bereich. Warum hat das Thema Verringerung des Energieverbrauchs nicht allerhöchste Relevanz?

Es liegt an zwei Gründen: erstens: fossile Energie war lange Zeit zu billig, Kosten der Umwelt- und Klima-Schädigung oder geopolitische Risiken wurden schlichtweg ausgeklammert und nicht eingepreist. Steigende Kosten durch Klimawandel, Umweltschädigung oder geopolitische Risiken wurden weitestgehend ausgeblendet. Zweitens: es fehlen die politischen Rahmenbedingungen. Die energetische Gebäudesanierung wird zu wenig finanziell unterstützt, Unternehmen werden eher unterstützt, wenn sie viel Energie verbrauchen, anstatt das Energiesparen zu belohnen. Energieintensive Unternehmen wurden von vielerlei politischen Maßnahmen ausgenommen, sodass das Energiesparen nicht forciert wurde. Zwar gab es hehre Ziele. Aber Ziele allein machen kein Energiesparen. Sie müssen unterfüttert werden mit konkreten politischen Maßnahmen. Das muss sich dringend ändern.

Die FDP hat erneuerbare Energien als „Freiheitstechnologien“ für sich entdeckt. Sie sprechen von „Friedenstechnologien“ – inwiefern wirken erneuerbare Energien als Friedenstechnologien?

Erneuerbare Energien sind Friedens-Technologien, sie sichern Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Erneuerbare Energien, sei es Windenergie, Solarenergie, Geothermie, Wasserkraft oder Biomasse sind allesamt heimische Energien, sie werden dezentral vor Ort genutzt. Es sind partizipative Energien, entweder indem Menschen sich direkt an einer Windanlage oder einem Bürgerenergie Projekt beteiligen, oder eine Solaranlage installieren und Solarenergie selbst produzieren oder verkaufen. Man braucht für sie weder Uran, Öl, Gas oder Kohle zu importieren. Und somit vermeidet man fossile Energiekriege. Das funktioniert überall. Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt, welches wir weltweit haben.

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„Wir sind in einer anderen Welt, wir sind in einem anderen Zeitalter“, haben Sie in einer der letzten Folgen Ihres Klima-Podcasts gesagt. Hat Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine – ohne es zu wollen – nicht nur das Ende seines fossilen Imperiums eingeleitet, sondern das Ende des fossilen Zeitalters?

Es findet ein komplettes Umdenken und Umsteuern statt. Und das liegt vor allen Dingen an den steigenden Preisen für Öl, Kohle und Gas. Zwar wollen diejenigen Länder, die fossile Energien anbieten, von den hohen Preisen profitieren, aber die importierenden Staaten und Unternehmen werden aufgrund der stark steigenden fossilen Energiekosten umstellen. Das Energiesparen, der Einsatz erneuerbarer Energien lohnt sich. Erneuerbare Energien sind die preiswerteste Energieform weltweit. Auch im Vergleich zu Atom. Auch das Energiesparen lohnt sich. Somit sind wir in der Tat am Beginn des Endes des Zeitalters fossiler Energien.

„Wir können das Schlimmste nicht mehr verhindern, wir können das Schlimmste nur noch verwalten.“ – So Ihr Kommentar zum jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC. Worauf müssen wir uns gefasst machen?

Auf das Schlimmste, wenn es uns nicht gelingt die Emissionen sehr rasch zu senken. Der jüngste IPCC-Bericht hat einmal mehr deutlich gemacht, dass es weltweit bisher nicht gelungen ist, die Emissionen in ausreichendem Maße zu senken. Irreversible Klima-Kipppunkte drohen überschritten zu werden. Dies hat katastrophale Auswirkungen auf das Weltklima, auf Weltregionen, auf die Überlebensfähigkeit auf diesem Planeten. Uns muss das Umsteuern gelingen. Und uns läuft die Zeit davon. Nur wenn die jetzige Zäsur einen wirklichen Wandel mit sich bringen wird, werden wir das Allerschlimmste verhindern können. Trotz der immer mehr und weiter zunehmenden Krisen müssen wir den Ausweg nutzen und endlich umsteuern. Die Chancen für den Wandel sind riesig.

Claudia Kemfert ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg und leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Sie ist als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig und eine gefragte Expertin für Politik und Medien. claudiakemfert.de

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