Das Auto im Kopf | Frank Augustin

Spielzeugauto im SonnenuntergangFoto: Sreekumar P | Unsplash

 

Das Auto im Kopf

Oder: Das Ende einer großen Liebe

Text: Frank Augustin

Die großen Autobauer und ihre Lobby fanden mit ihrem Wunsch nach einer Kaufprämie auch für Verbrenner kein Gehör. Diese ungewohnte Abfuhr ist ein weiteres Zeichen für die Implosion der deutschen Leitindustrie. Deren Niedergang hat auch mit moralischen Verfehlungen und strategischen Fehlentscheidungen zu tun – aber nicht nur. Es geht um Grundsätzlicheres: Das Ende der großen Amour fou zwischen uns Konsument*innen und dem Auto.

Nach den Einblicken, die man im Zuge des Abgasskandals in die heimlichen Absprachen der Autokonzerne erhalten hat, dürfte auch den letzten Zweifler*innen klar geworden sein, dass wir nicht in einer Marktwirtschaft leben und es dementsprechend auch viel weniger Wettbewerb gibt, als gemeinhin angenommen wird. „Marktwirtschaft“ ist ein unreflektierter Begriff, der völlig falsche Tatsachen vorspiegelt und letztlich nur von der Voreingenommenheit und Unmündigkeit derjenigen zeugt, die ihn benutzen. Richtig ist: Wir leben im Kapitalismus – und Kapitalismus bedeutet Konzentration. In Deutschland erwirtschaften bekanntlich rund ein Prozent der Unternehmen knapp 70 Prozent aller Umsätze. „Großkonzerne tun alles, um den Wettbewerb möglichst zu vermeiden, indem sie fusionieren, kooperieren oder vertikal integrieren.“ (Ulrike Herrmann) Man hat es also in der Autobranche mit einer mächtigen, konzernübergreifenden face to face society zu tun, die mittels gegenseitiger Absprachen und zahlreicher Lobbyist*innen ihren Einfluss sichert und vergrößert. Das ist nicht nur unfair, weil man sich eine bequeme Position auf Kosten der Kund*innen und zuliefernden Unternehmen verschafft, sondern es erinnert in seinem Gebaren auch an das Selbstverständnis der Feudalherren in den vordemokratischen Gesellschaften. War man zuvor über solches Verhalten naserümpfend hinweggegangen, ist die Toleranz seitens der Kund*innen, zuliefernden Unternehmen und selbst der Politiker*innen deutlich gesunken.

Hinzu kommt, dass sich die Autobranche auch in anderer Hinsicht moralisch diskreditiert hat. Denn offensichtlicher als durch die Manipulation von Abgaswerten kann man nicht demonstrieren, dass Profite und Machterhalt im Zweifel über die Gesundheit der Menschen wie generell über die Belange der Gesellschaft gehen. Dies hat fatale Folgen für das Image der Konzerne, und verrät viel über deren reduziertes Verständnis von Fortschritt. Wer glaubt noch daran, dass hier zukunftsweisende Innovationen entwickelt werden, die nicht nur dem eigenen Unternehmen, sondern letztlich auch der gesamten Gesellschaft zugutekämen? Was ist das für ein Fortschritt, der nur die einen finanziell fortschreiten, die übrige Gesellschaft jedoch hinter sich lässt?

Noch nie vernünftig

Doch es geht nicht nur um Fehlverhalten und wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichgewichte. Das Automobil hat sich überlebt, seine Faszination verloren. Und dies schreibt niemand, dem sie verschlossen geblieben wäre. Diese Entzauberung des Automobils findet sich sogar im Bereich der Sportwagen, wo die Fahrzeuge inzwischen durch die Bank derart potent und perfekt geworden sind, dass sie auf öffentlichen Straßen nur noch langweilen und ausschließlich auf der Rennstrecke ausgefahren werden können – selbst dort verlangen sie kaum noch Fahrtalent. Generell spielt sich das Meiste ohnehin nur noch im Kopf der Sportwagenbesitzenden ab: „Wenn ich etwas mehr Übung und eine Rennstrecke zur Verfügung hätte, dann…“; oder: „Ich bin 1,32 Sekunden schneller auf der Rennstrecke als mit dem Vorgängermodell“ etc. Viel Kopfkino und viele Zahlen also, wo einst der ganze Körper beteiligt war, wo das Fahrerlebnis einen mitgerissen und umgehauen hat. Das ist generell die Tendenz beim Auto: Immer mehr Kopf, immer mehr Rationalität. Die Emotionen suchen das Weite. Und, vollkommen absurd: Im Motorsport geht es seit Jahrzehnten nur noch darum, schnelleres Fahren durch alle möglichen technischen Beschränkungen zu verhindern. Was soll das? Man will schneller werden, bremst sich aber gleichzeitig aus? Technik macht schneller und langsamer zugleich?

Diese Widersprüchlichkeit ist typisch für das Auto geworden. Das liegt eben daran, dass man nicht mehr bedingungslos hinter ihm steht; man versucht, den Kopf einzuschalten, um seine alte Liebe zu retten – eine Liebe, die aber längst verblasst ist. Klar: Früher war auch viel Kopf und viel Fantasie im Spiel. Doch die hatte Substanz. Fantasie ist eine begrenzte Ressource und das Kopfkino benötigt reales Material.

Kopfgeburten ohne Ende sind die Folge: Nicht nur die Sportwagen sind inzwischen motorisch völlig überdimensioniert bzw. fahrwerksseitig und aerodynamisch overengineered. Von normalen Autofahrer*innen ist heute auf der Landstraße auch ein VW Golf nicht mehr in die Nähe seines Limits zu bringen. Bei den meisten Fahrer*innen täte es auch die Hälfte der vorhandenen PS oder viel weniger, wobei dann immer noch genügend Reserven vorhanden wären. Zumal die Straßen immer voller werden und die PS-Zahlen insofern eigentlich zurückgehen müssten. Dass überdies die Bedienung „moderner“ Autos immer komplizierter und die Übersichtlichkeit immer schlechter wird, sei am Rande erwähnt. Die vielverkauften SUVs schließlich zeigen, dass das Produktionsniveau bloß noch unter Aufbietung extremen Einsatzes von Fantasie seitens der Werbenden wie der Kund*innen aufrecht erhalten werden kann, die aus sinnfreien, hässlichen und viel zu schweren Fahrzeugen solche macht, die irgendwie dennoch den alten Traum von Freiheit und Fortschritt materialisieren sollen. Man denkt nur noch in abstrakten Kategorien und in Zahlen, in Fahr- und Grenzwerten, in Gewinnen und Verlusten.

Deshalb kommt jetzt das Elektroauto. Dieses steht, jeder halbwegs informierte Mensch weiß es, nicht für die Zukunft des Autos, sondern für sein Ende als massenhaft produziertes sowie für die Konzerne profitträchtiges Fortbewegungsmittel. Geht es bloß noch darum, komfortabel von A nach B zu kommen, benötigt man dazu kein besonders individuelles, reizvolles Fortbewegungsmittel – eine simple E-Kiste genügt dann in den meisten Fällen. Und wer es sich leisten kann, betreibt eben Benzinautosport, so wie heute manche ihre Rennpferde bewegen. Weiter: Von den E-Autos benötigt man, klug vernetzt und bequem auf Abruf bereit, nur einen Bruchteil der momentan vorhandenen Fahr- bzw. Stehzeuge.

Es ließen sich noch viele Dinge aufzählen, welche die inneren Widersprüche veranschaulichen, in denen das Auto und die Branche gefangen sind, doch für diese Skizze soll es genügen. Entscheidend ist ohnehin das Folgende: Das Auto war noch nie vernünftig, es war eine Passion. Und es war eine Passion, die vom Fortschrittsgedanken getragen wurde. Das Schneller-Besser-Weiter und die damit verbundene Ausweitung der persönlichen Spielräume hat das Auto vorangetrieben und profitabel gemacht. Das war natürlich oft ziemlich verrückt, aber auch verdammt gut, denn viele tolle, faszinierende Autos – und Rennfahrer – haben Menschen begeistert, ihre Besitzer*innen wie jene von Kunstwerken mit Stolz erfüllt und die Kinder von diesen Kunstwerken träumen lassen. Wie viel Schönes rankte sich um dieses Wunder auf vier Rädern! Doch heute hat das Auto als Symbol einer vom technischen Fortschritt geleiteten Gesellschaft ausgedient. Immer öfter steht es für Einschränkung statt Befreiung, dafür, die Zukunft zu verstellen und zu verschmutzen, in deren leuchtende Variante wir doch früher mit ihm gefahren sind.

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Abschied nehmen

Aber kann die ehemalige Liebesbeziehung nicht vielleicht „vernünftig“ weitergeführt werden, wie es Politiker*innen wie Angela Merkel oder Winfried Kretschmann vorschwebt? Man muss sich doch nicht gleich trennen, wenn man sich nicht mehr liebt, oder? Den Todesstoß für diese Ausflucht besorgt jedoch das Wirtschaftssystem selbst, in dem das Auto groß geworden ist: der Kapitalismus – bzw. dessen ökologische Schattenseite. Unter ökologischen Gesichtspunkten, das heißt klima- und gesundheitsschädliche Gase, Ressourcen, Müll etc. betreffend, ist es das Sinnvollste, weitaus weniger neue Autos zu produzieren, weil ja im gesamten Produktionsprozess, also nicht nur bei der Herstellung der Komponenten und bei deren Zusammensetzung, sondern auch bei der Förderung und Anlieferung der benötigten Rohstoffe, bei deren Weiterverarbeitung, bei Lagerung und Vertrieb etc., enorm viel Energie benötigt wird. Weniger wäre unter ökologischen – und das heißt lebenswichtigen – Gesichtspunkten in allen Bereichen mehr. Weniger fahren, die Autos länger fahren, gemeinsam nutzen, reparaturfreundliche Autos bauen, selber reparieren, tauschen. Entsprechend wird künftig die Produktion von Ersatzteilen eine wichtige Rolle spielen, wo neue Werkstoffe intelligent eingesetzt und die vorhandenen Fahrzeuge dadurch nicht nur erhalten, sondern peu à peu gar verbessert werden könnten.

Die ersten Anzeichen des Verblassens der großen Liebe zum Automobil haben aufmerksame Beobachter*innen schon Anfang der 80er-Jahre bemerkt. Nicht umsonst verstärkte sich seitdem auch der Eindruck, man ruhe sich in den Autokonzernen auf seinen Erfolgen aus. Nun, an die 40 Jahre später, ist es Zeit, die Konsequenzen zu ziehen und die Bevölkerung auf den großen Umbruch vorzubereiten, der mit dem Abschied vom traditionellen und in riesigen Stückzahlen produzierten Auto verbunden ist – ein Abschied, der im Herzen schon stattgefunden hat und nur in vielen Köpfen noch nicht angekommen ist.

Frank Augustin
Frank Augustin hat Philosophie und Geschichte studiert, dann für das Journal für Philosophie der blaue reiter gearbeitet und ist seit 2009 für agora42 | Das philosophische Wirtschaftsmagazin tätig.

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