Die Psychologie der Klimakrise | Katharina van Bronswijk

Foto einer WolkenformationFoto: National Oceanic and Atmospheric Administration Agency | unsplash

 

Die Psychologie der Klimakrise

Text: Katharina van Bronswijk | online veröffentlicht am 05.06.2024

Die Klimakrise ist allgegenwärtig. Es lässt sich gar nicht verhindern, dass wir auf all die Katastrophenberichte und Hiobsbotschaften mit unangenehmen Emotionen reagieren und uns von dem Gedanken erschlagen fühlen, dass wir unsere Lebensweise drastisch ändern müssen. Es ist jedoch wichtig, diese Gefühle, gerade auch die vermeintlich „negativen“, nicht zu verdrängen – denn sie können wichtige Wegweiser und Ressourcen für ein nachhaltiges Leben werden.

Der Klimawandel ist eine naturwissenschaftliche Angelegenheit, oder? Klar, wenn es um die Klimakrise geht, ist die erste Anlaufstation die Naturwissenschaft. Klimatologie, Meteorologie, Geografie, Geologie, Ozeanografie, Physik und Biologie sagen uns, wie es um die Erde bestellt ist, dass da was schiefläuft, was das für Auswirkungen hat und wer dafür verantwortlich ist. Aber: Da wir Menschen Teil der Natur sind, um die es dabei geht, sind wir zwangsweise in die Klimakrise involviert – an allen Ecken und Enden. Weil unser zu hoher Ausstoß an Klimagasen die Klimakrise auslöst, sind wir auch die Einzigen, die das Problem lösen können.

Diese existenzielle Krise bewegt uns emotional – und das ist auch gut so! Denn wir Menschen sind keine rein rationalen Wesen – auch wenn uns das von der sehr rationalen, technisierten Gesellschaft, in der wir leben, oft suggeriert wird. Gefühle erscheinen manchmal als lästiges Überbleibsel der Evolution, das man bei wichtigen Entscheidungen möglichst ausblenden sollte. Gerade im Umgang mit kritischen Situationen haben sie uns aber sehr viel zu sagen, weswegen wir ihre Nachrichten besser ernst nehmen und sie verarbeiten sollten.

Wie fast alles, was sich im Laufe der Jahrtausende in uns entwickelt hat, bieten unsere Gefühle einen evolutionären Vorteil. Sie helfen uns, uns in der Welt zurechtzufinden. Angenehme Emotionen wie Freude, Interesse oder Stolz erweitern unsere Wahrnehmung und flexibilisieren unser Denken – dadurch werden langfristig Kreativität und neue Lernerfahrungen möglich. Außerdem belohnen sie uns dafür, wenn etwas gut gelaufen ist oder uns guttut, damit wir diese Dinge möglichst wiederholen. Soziale Emotionen wie zum Beispiel Schuld, Scham oder Stolz sind von sozialen Normen abhängig, also davon, was wir über die Erwartungen anderer Menschen an uns gelernt haben. Sie helfen uns, im sozialen Zusammenleben besser zurechtzukommen und uns nicht allzu viele Feinde zu machen – im besten Fall sogar viele Freunde. Unangenehme Gefühle wie Angst, Trauer, Wut oder Ekel sind dafür da, uns vor potenziellen Gefahren zu beschützen. Sie fokussieren unsere Wahrnehmung und unser Denken auf diese Gefahren und machen uns Hummeln im Hintern, das Problem zu beseitigen (oder ihm auszuweichen).

Selbst, wenn wir die Auswirkungen noch nicht ständig am eigenen Leib zu spüren bekommen, löst die Klimakrise ziemlich viele Gefühle in uns aus, denn wir haben ja ein Hirn und verstehen, was die Klimatolog*innen uns da ankündigen, auch auf einem abstrakten Level. Es lässt sich gar nicht verhindern, dass wir auf all die Hiobsbotschaften und nötigen Änderungen unseres Lebensstils emotional reagieren – logischerweise vor allem mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Wut oder Trauer.

Klimagefühle

Klimaangst taucht dann auf, wenn man sich mit der möglichen und immer wahrscheinlicher werdenden Zukunft in der Klimakrise und all ihren Folgen beschäftigt – damit, wie die Welt in 10, 20 oder 50 Jahren aussehen könnte für uns, unsere Kinder und Enkel. Dann springt (wie bei allen starken Gefühlen) unsere Stressmaschine an, die Angst steigt und macht uns den Druck, die Gefahr abzuwehren oder zu verhindern, dass sie eintritt. Laut der 18. Shell Jugendstudie von 2019 machen sich etwa zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen große Sorgen (die gedankliche Dimension von Angst) wegen der Klimakrise. Auch bei Erwachsenen sind Sorgen wegen der Klimakrise nicht selten: Eine große Mehrheit in Deutschland und auch in der gesamten EU ordnet die Klimakrise als eine wichtige Bedrohung ein – im Eurobarometer waren das zuletzt über 90 Prozent. Klimaangst ist also kein Nischenphänomen – Klimaangst ist längst ein Mehrheitsthema.

Klimatrauer, climate grief, oder ökologische Trauer, eco grief, ist nochmal ein bisschen komplizierter. Sie hat verschiedene Dimensionen. Wegen der Klimakrise können wir viele verschiedene Dinge verlieren: Elemente unserer Kultur, unsere Gesundheit, unseren Lebensstil, unsere Heimat, den Frieden, Tierarten, Pflanzenarten, Würde, unsere bisherigen Denkweisen und Identitätsfaktoren – und noch viel mehr. Trauer ist das Gefühl, das wir als Menschen empfinden, wenn wir einen Verlust erleiden. Sie ist die Kehrseite von Liebe. Wir betrauern nur, was uns wichtig ist. Trauer dient praktisch der Verlustverarbeitung – ich sage immer, sie ist der Heilungsschmerz der Seele. Solastalgie ist eine besondere Art der Klimatrauer: der Schmerz, den wir fühlen, wenn wir einen Ort verlieren, der uns Trost gibt. Also praktisch Heimweh nach einer Heimat, die verloren geht.

Wut wiederum ist das Gefühl, das wir fühlen, wenn etwas ungerecht ist oder jemand eine Grenze bei uns überschreitet. Sie gibt uns die Energie, uns zu verteidigen und uns für uns einzusetzen. Wenn man sich darüber aufregt, dass die Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich, älteren und jüngeren Generationen sowie Globalem Norden und Süden in Bezug auf die Klimakrise arg in Schieflage geraten ist, dann ist das Klimawut. Wenn man sich mal wieder über inkonsequente Klimapolitik aufregt, dann ist das Klimawut. Klimawut ist, weil sie sich nicht so ohnmächtig anfühlt, motivierender als Angst, so 2021 eine Studie im Journal of Climate Change and Health. Wut geht nach vorne, sie ist stark. Sie hilft, sich zum Beispiel für Klimagerechtigkeit einzusetzen. Ich glaube, dass Klimawut genauso wie Klimatrauer total unterschätzt wird. Das liegt unter anderem daran, dass wir Wut häufig mit Aggression und Gewalt in Zusammenhang bringen und sie deswegen verpönt ist. Aber man kann Wut auch konstruktiv kanalisieren und in Handlung übersetzen, die uns weiterbringt. Wut ist genauso unsere Verbündete wie Trauer und Angst. Die drei sind – zusammen mit Ekel – dafür zuständig, unser Überleben zu sichern. Das muss sich nicht gut anfühlen, es muss nur funktionieren. Ehrlich gesagt: Es darf sich gar nicht gut anfühlen, um zu funktionieren.

Der Umgang mit (Klima)Gefühlen

Es kann überwältigend und frustrierend sein, sich mit der Klimarealität und den eigenen beschränkten Handlungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Da kann ich als Psychologin und Psychotherapeutin nachvollziehen, warum das Gehirn so viele ausgeklügelte Vermeidungs- und Verdrängungsmechanismen entworfen hat. Im Gegensatz zum unangenehmen Gespräch mit der Arbeitskollegin, das man vielleicht noch vermeiden kann, geht die Klimakrise ja leider nicht weg, wenn wir sie ignorieren. Den Kopf in den Sand stecken, geht also nicht. Auch hier ist geteiltes Leid halbes Leid. Vielen Leuten hilft es, mit anderen über ihre Klimagefühle zu sprechen und sich verstanden zu fühlen.

Maria Ojala, eine Psychologin und Dozentin an der schwedischen Universität Örebro, hat für den Umgang mit der Klimakrise deswegen das sogenannte meaning-focused coping vorgeschlagen: Sie empfiehlt, die Krise mit Bezug auf die eigenen Werte sowohl auf der Gefühlsebene zu verarbeiten – das ist zum Beispiel wichtig bei eco grief und Solastalgie – als auch auf der Problemebene etwas zu verändern – etwa durch politisches Engagement oder Veränderungen im eigenen Alltag. Dadurch entsteht ein gleichzeitiges Fühlen und Handeln – mal mehr das eine, mal mehr das andere. Zu dieser Doppellösung gehört, sich darauf zu besinnen, welche Werte man eigentlich hat. Wer will ich am Ende meines Lebens gewesen sein? Wie will ich auch in Krisensituationen einen Sinn gelebt haben? Es lohnt sich, sich diese Fragen ehrlich zu stellen, um sich trotz Krisen Lebensfreude und einen gesunden Optimismus zu erhalten.

Zusammenfassend bedeutet meaning-focused coping also: Die Klimagefühle zuzulassen – sie wirklich zu fühlen –, die Bedürfnisse dahinter zu verstehen und eine gute Antwort darauf zu finden, welche Art von Mensch wir im Umgang mit uns selbst, anderen Menschen und der Welt sein wollen. Diese Werte, diese Idealvorstellung von uns selbst, müssen wir dann in Handlungen und Gesprächen leben.

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Lasst uns träumen …

Ich habe nun viel über Menschen als Individuen geschrieben. Kein Wunder: Die Ebene des Individuums ist das klassische Arbeitsgebiet der Psycholog*innen und damit auch meine Komfortzone. Aber die Ebene des Individuums ist, gerade wenn es um komplexe, den ganzen Planeten umspannende Probleme wie die Klimakrise geht, nicht die ganze Wahrheit.

Die Klimakrise und die gesellschaftlichen Transformationen, mit denen wir auf sie reagieren müssen, greifen in unsere Identität ein. Sie verändern das Selbstbild nicht nur von einzelnen Menschen, sondern von ganzen Gruppen. Umgekehrt verhindert die Art, wie wir heute unsere Identität bilden und bestätigen, auch oft, dass Menschen klimafreundlicher leben, einkaufen oder wählen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, und zwar gesamtgesellschaftlich.

Wir müssen gemeinsam anfangen, Lösungsgeschichten zu erzählen. Lasst uns begeisterter von unserer Vision eines Lebens innerhalb der planetaren Grenzen erzählen und hören: Wie lecker das Essen schmeckt, wenn es frisch vom Feld kommt. Wie schön Städte sind, wenn sie nicht mehr nur grau und voller Autos sind, sondern grün und blau. Wenn wir Bäume, Beete, Bänke und Spielplätze direkt vor der Tür haben und man zu Fuß alles erreichen kann, was man braucht. Wenn Strom vom Dach kommt und nicht aus einem Kraftwerk, dass man hunderte Meter weiter noch sieht und dass befeuert wird durch Kohle aus einer Grube, die von Horizont zu Horizont reicht. Wenn wir wieder mit vielen Generationen zusammen in einem Haus wohnen und die Omis und Opis die Kinder im hauseigenen Kita-Senioren-Café besuchen, während die Eltern arbeiten. Lasst uns uns auf Produkte freuen, die nicht kurz nach Ablauf der Garantie kaputt gehen, sondern lange halten, und die man, wenn man Spaß am Tüfteln hat, ganz einfach selber wieder reparieren kann. Lasst uns uns auf ein bedingungsloses Grundeinkommen freuen, dass uns erlaubt, nur 25 Wochenstunden zu arbeiten, sodass wir noch Zeit für Freunde, Freizeit, Familie und Ehrenamt haben.

… und als Bürger*innen mitgestalten

Menschen sind soziale Wesen, wir sind interessiert, wir sind neugierig – wenn man uns die Zeit und den finanziellen Spielraum dafür gibt. Vielleicht habt ihr ganz andere Bilder, eine ganz andere Vision davon, wie unsere Zukunft aussehen soll. Ich wünsche mir, dass wir als Bürger*innen häufiger gefragt werden, was wir wollen, und dass wir den Gestaltungsspielraum bekommen, uns dafür einzusetzen und diese Wünsche auch zu leben. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder verstehen, was es bedeutet, Bürger*in zu sein – gestalten zu können, in Resonanz mit anderen zu treten und sich selbst im Austausch mit anderen weiterzuentwickeln, sich von Politik und Gesellschaft auch wieder positiv berühren zu lassen, sich also wieder als Teil der Republik – also der res publica, der öffentlichen Sache beziehungsweise der Angelegenheit aller – zu sehen und Politik nicht als etwas zu begreifen, das „da draußen“ ohne mich stattfindet. Demokratie erschöpft sich nicht darin, ein Kreuz auf einem Wahlzettel zu machen. Sie ist lebendig. Wir können und müssen sie gestalten.

Und das macht mir Hoffnung. Dass wir alle gesellschaftlichen Wandel gestalten können. Warum? Weil wir die Gesellschaft sind. Ich, ihr, wir alle. ■

Dieser Text ist zuerst in agora42 4/2023 LEBEN IN DER KLIMAKRISE erschienen.
Katharina van Bronswijk ist Psychologin und Verhaltenstherapeutin mit eigener Praxis sowie Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future. Sie ist seit 2009 im Klimaschutz aktiv und hält regelmäßig Vorträge, gibt Interviews und publiziert zum Zusammenhang von Klimakrise und psychischer Gesundheit. Zuletzt von ihr erschienen: Klima im Kopf. Angst, Wut, Hoffnung: Was die ökologische Krise mit uns macht (oekom, 2022)
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