Mein Geld ist dein Geld | Lino Zeddies

SparschweinFoto: Jude Beck | Unsplash

 

Mein Geld ist dein Geld

Erfahrungen mit einer Finanzkooperative

Text: Lino Zeddies | Gastbeitrag 

Lino Zeddies ist Ökonom, Autor und Aktivist und engagiert sich für ein anderes Geldsystem. Zusammen mit zwei Freund*innen hat er dieses Engagement alltagspraktisch werden lassen: Sie teilen Geld und ihre Einnahmen in einer Finanzkooperative. Kann das gehen? Hört die Freundschaft nicht irgendwann auf, wenn’s ums Geld geht? Sein Erfahrungsbericht.

Die Gründung

Die Gründung unser Finanzkooperative verlief ziemlich spontan. Wir hatten fast zeitgleich, aber unabhängig voneinander von der Idee einer Finanzkooperative gehört und waren fasziniert davon. Bei einem gemeinsamen Urlaub tauschten wir uns darüber aus, waren Feuer und Flamme, zeigten uns spontan unsere Kontoauszüge und redeten über unsere jeweilige finanzielle Situation. Die Gründung einer Finanzkooperative schien uns logisch angesichts unserer Werte und Prinzipien, nämlich einander zu vertrauen, zu teilen und auszuhelfen. Zudem kannten wir drei uns sehr gut, hatten ein tiefes Vertrauensverhältnis und wussten, dass wir Spannungen und Konflikte untereinander konstruktiv austragen konnten. Bei einem Folgetreffen diskutierten wir konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und einigten uns sehr schnell. Beim darauffolgenden Treffen kam es bereits zur Gründung. Obwohl die aktuelle finanzielle Lage bei Zweien von uns eher angespannt war und es Bedenken gab, mit diesen Schwierigkeiten in die Finanzkooperative einzusteigen, kam eine so unterstützende und positive Resonanz, dass die Stimmung ins Positive und in Begeisterung für die Idee umschwenkte. Die Grundidee einer Finanzkooperative war schließlich, sich insbesondere in schwierigen Phasen auszuhelfen. Die Stimmung war euphorisch. Wir liefen zum nächsten Geldautomaten, schenkten uns gegenseitig Geld und steckten uns heimlich Scheine zu. Mein Geld ist dein Geld. 

Unsere Vereinbarung

Alle bringen 2000 Euro in den gemeinsamen Topf ein. Weiteres Vermögen bleibt erstmal privat. Alles, was wir ab der Gründung verdienen, wird geteilt. Wir planen jedoch, irgendwann unsere gesamten Vermögen einzubringen.

Wir trafen uns einmal monatlich, um über die finanzielle Situation, über Spannungen, Bedürfnisse und besondere Ausgaben zu sprechen. Anfangs hatten wir einen „Beratungsprozess“ vereinbart: Bei Ausgaben oberhalb von 100 Euro mussten die anderen beiden Finanzgenoss*innen um Rat gefragt werden, letztlich wurde aber frei und selbstbestimmt entschieden. Schon nach wenigen Monaten kam das Bedürfnis auf, einerseits Ausgaben, die sowieso bewilligt werden würden (z.B. für ein dringendes Coaching) nicht mit den anderen absprechen zu müssen, andererseits aber auch, die Ausgaben der anderen nicht „abnicken“ zu müssen. Daher hoben wir jegliche Absprachepflicht einfach auf und sprachen uns damit unser volles Vertrauen aus. Es bestand weiterhin die Einladung, sich Rat zu Ausgaben einzuholen (die kollektive Intelligenz legt manchmal unerwartetes Sparpotenzial frei) und der Wunsch, über höhere Ausgaben informiert zu werden, aber grundsätzlich waren wir völlig frei und autonom in unseren finanziellen Entscheidungen.

Wir peilten einen Sicherheitspuffer von 10.000 Euro an. Darunter wollten wir tendenziell sparen, darüber wollten wir Geld für sinnvolle Projekte spenden oder zur Erfüllung besonderer Wünsche einsetzen. Bei Auseinanderfallen der Finanzkooperative oder bei Austritt einer Person, sollte ein Drittel des Geldes an alle ausgezahlt werden, es sei denn, wir würden uns auf eine stimmigere Aufteilung einigen.

Erfahrungen & Alltag

Kurz nach der Gründung trat der Corona-Lockdown ein. Da ich 5000 Euro Corona-Selbstständigen-Hilfe bekam, eine andere Person ein üppiges Seminar-Honorar und der Dritte im Bunde eine Gehaltserhöhung, stellte sich in dieser Zeit bei uns überraschenderweise kein Geldmangel, sondern finanzielle Fülle ein. In sehr kurzer Zeit hatte sich das Startkapital unserer Finanzkooperative mehr als verdoppelt. Das fühlte sich für uns fast wie eine kosmische Belohnung dafür an, dass wir es mit unserem sozio-finanziellen Experiment gewagt hatten, uns zu vertrauen und untereinander solidarisch zu sein. Wir konnten es kaum glauben und feierten den unverhofften Überfluss.

Dieser überraschende Geldsegen hat bei uns den Wunsch aufkommen lassen, anderen Menschen unter die Arme zu greifen, denen die Corona-Krise Schwierigkeiten bereitete. Wir unterstützten zwei Menschen aus unserem Bekanntenkreis und diskutierten darüber, wie und in welchem Umfang wir Geld verschenken wollten.

Dennoch erzeugte die Corona-Krise auch in unserem Kreis tiefe Unsicherheiten, Ängste und Gefühle von Kontrollverlust. Ein klärendes Gespräch konnte jedoch vieles lösen, sodass sich die Finanzkooperative weiter festigte.

Insgesamt ist vieles im Alltag angenehm unkompliziert und einfach. Wenn man zusammen essen geht, einkauft oder gemeinsam etwas verschenkt, erübrigt sich die Frage, wer bezahlt. Es ist schlicht völlig egal. Eigentum kann geteilt und verschenkt werden. Es macht schließlich keinen Sinn, dass jemand das gemeinsame Geld für etwas ausgibt, das die anderen schon besitzen und teilen können. Bei gemeinsamen Urlauben oder Ausflügen müssen wir nichts auseinanderrechnen. Das ist unglaublich entspannend.

Es gab anfangs durchaus die Befürchtung, dass heimlich Ärger aufkommen könnte, teilen zu müssen, was wir verdienten. Diese Furcht war aber unbegründet. Tatsächlich machten wir alle die Erfahrung, dass es uns Freude bereitet, das verdiente Geld in unserem Kollektiv zu teilen. Es kam sogar der Wunsch auf, mehr zu verdienen und damit mehr Geld für die Gemeinschaft aufzubringen. Geld in die Finanzkooperative einzubringen, schafft zusätzlichen Sinn.

Generell widerlegten sich bei uns die Annahmen des Homo Oeconomicus – des egoistischen Nutzenmaximierers – wieder und wieder. Das Projekt fühlt sich für uns häufig an wie ein Tabubruch, aber ein sehr guter und vielleicht auch überfälliger.

Konflikte & Herausforderungen

Zu Anfang hatten wir geringe Bedenken, dass es Vertrauensbrüche, unlösbare Konflikte oder Probleme geben würde. Das mag naiv klingen, aber uns verband eine tiefe Freundschaft und wir wussten, wie wir miteinander und mit Konflikten untereinander konstruktiv umgehen.

Irgendwann kriselte es aber dann doch. Eine*r von uns hatte mit einigen persönlichen Herausforderungen und privaten Konflikten zu kämpfen und erlebte den Verlust der eigenen finanziellen Autonomie durch die Finanzkoop in dieser Zeit als zusätzliche Verunsicherung. Auch die Verknüpfung von Freundschaft und gemeinsamen Finanzen nahm er/sie als Bedrohung wahr. Zusätzlich gab es in dieser Zeit auch auf persönlicher Ebene einige schwere Konflikte zwischen uns (unabhängig von der Finanzkooperation), sodass Zweifel entstanden, ob es überhaupt weitergehen würde. Dazu kam noch eine Uneinigkeit zum Thema Fliegen und Umweltschutz, die durch Missverständnisse erschwert wurde.

Diese Unstimmigkeiten konnten wir jedoch allesamt klären und lernten dabei nicht nur viel über den Umgang mit solchen Konflikten, sondern festigten auch unsere Finanzkooperative.

Fazit

Mittlerweile fühlt es sich selbstverständlich an, den eigenen Verdienst zu teilen. Die Vorstellung, wieder getrennte Konten zu führen, erscheint uns geradezu absurd. Bei uns allen hat sich dank dem regelmäßigen Austausch die Beziehung zu Geld verbessert und ist leichter geworden. Als Autor und Selbstständiger ist meine persönliche Einkommenslage tendenziell unsicher und die Zukunft sowieso ungewiss, aber über meine Finanzen mache ich mir dank der Finanzkooperative keine Sorgen mehr. Mal verdiene ich mehr Geld, mal die beiden anderen. Gemeinsam sind wir stark.

Wir können uns gut vorstellen, unsere Finanzkoop um ein bis zwei weitere Leute zu erweitern. Außerdem haben wir Ambitionen entwickelt, mehr Geld zu verdienen, um das gemeinsame Vermögen zu steigern. Einerseits wollen wir uns mehr leisten können – jedoch nicht Ramsch für die Müllhalde und überflüssigen Luxus, sondern Investitionen in die eigene Persönlichkeitsentfaltung und in hochwertige, nachhaltige und sinnvolle Produkte. Andererseits haben wir Lust darauf, progressive Projekte für gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen und anzuschieben.

Mit unserer Finanzkooperative haben wir eine kleine Realutopie geschaffen, in der wir unsere Werte von Vertrauen, Solidarität und Großzügigkeit schon jetzt im Kleinen leben. Das fühlt sich unheimlich gut an. Das ist die Welt, in der wir leben möchten.

Lino Zeddies
Lino Zeddies hat an der FU Berlin im Bachelor und Master VWL studiert und betätigt sich als Vollzeitaktivist für gesellschaftlichen Wandel als Pluraler Ökonom, Geldreformer, Organisationsberater und Heilpraktiker für Psychotherapie.
Den ausführlicheren Erfahrungsbericht und andere Texte des Autors finden sich in seinem Blog: linozeddies.de/blog.

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