Ökosteuer 2.0 | Reinhard Loske

PlakatFoto: Markus Spiske | Unsplash

 

Ökosteuer 2.0

Bitte nicht die alten Nonsens-Kämpfe wiederholen!

Text: Reinhard Loske | Gastbeitrag

Der Bundestagswahlkampf gewinnt langsam an Fahrt, dazu gehört auch die klimapolitische Positionierung der Kandidat*innen. Unser Gastautor fürchtet eine Neuauflage unsinniger Streitigkeiten, wo es doch gelte, sozial-ökologische Geschichten des Gelingens zu schreiben.  

Dass über Ökosteuern heftig gestritten wird, ist hierzulande wahrlich nichts Neues, vor allem, wenn es ums Auto geht. Wir hatten diesen Kulturkampf vor fast einem viertel Jahrhundert schon einmal.[1] Dabei ist die Qualität der Gegenargumente nicht besser geworden. Aber auch die Befürworter*innen haben in der Kommunikation nur wenig dazugelernt. Viele verwechseln noch immer Ziele und Mittel.

Als Rot-Grün im Bund 1999 begann, in insgesamt fünf Stufen eine moderate Ökosteuer auf Kraftstoffe, Strom und – in nur geringem Ausmaß – Heizstoffe einzuführen, lief eine Allianz aus ADAC, BDI, BILD, FDP und Union zu populistischer Höchstform auf. Die „Abzock-Steuer“, so hieß es, bestrafe die kleinen Leute und das autoabhängige Landvolk, führe zur Deindustrialisierung Deutschlands und zeige einmal mehr die klebrigen Finger des Steuerstaates.

Das Argument, die Energiepreise hätten sich der „ökologischen Wahrheit“ zu nähern, um echte Anreize für Klimaschutz zu bieten, wurde von den Kritiker*innen ebenso übergangen wie die Tatsache, dass die Ökosteuereinnahmen (etwa 18 Milliarden Euro jährlich) über sinkende Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung vollständig zurückflossen und keineswegs in der Staatskasse verblieben. Zu verlockend war offenbar die populistische Versuchung, der SPD soziale Ignoranz und den Grünen Industrie- und Autofeindlichkeit vorzuwerfen.

Das Ergebnis dieser Zuspitzung ließ denn auch nicht lange auf sich warten. „Autokanzler“ Gerhard Schröder, dem „BILD, BamS und Glotze“ nach eigener Auskunft als Kompass dienten, versprach im Wahlkampf 2002, mit ihm werde es über das rechtsgültig Beschlossene hinaus keine weitere Ökosteuerschritte geben. Basta!

BILD jubelte, die Union frohlockte. Genützt hat es ihr aber nichts. Als die Elbeflut im August 2002 mitten im Wahlkampf das Thema Klimawandel auf die politische Tagesordnung spülte, stand ihr Kanzlerkandidat Stoiber mit leeren Händen da. Rot-Grün hatte mit der Ökosteuer und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) immerhin klimapolitische Anfänge vorzuweisen – und wurde wiedergewählt.

Verlorene Jahre

Dennoch, in der Rückschau lässt sich sagen, dass es ein schwerer Fehler von Rot-Grün war, den begonnenen sozial-ökologischen Umbau des Steuer- und Abgabensystems so schnell abzubrechen – vielleicht sogar eine Tragödie. Wo stünden wir bei der Energie- und Verkehrswende heute, wenn der Pfad der systematischen und schrittweisen Verteuerung fossiler Energieträger bei zugleich gerechter Rückgabe des so erzielten Steueraufkommens seit zwanzig Jahren konsequent verfolgt worden wäre? Die hohe politische Eingriffstiefe in das Wirtschaftsgeschehen, die wir heute in Sachen Klimaschutz zweifellos brauchen, haben wir uns als Gesellschaft zu einem guten Teil selbst zuzuschreiben – durch unterlassenes Handeln aus falscher Rücksichtnahme auf Lobbyinteressen und einen Mangel an politischer Phantasie.

Vergossene Milch zu beklagen, hilft aber bekanntermaßen nicht weiter. Das Mindeste jedoch, was die Wählerinnen und Wähler von den Parteien erwarten dürfen, ist, dass die populistisch befeuerte Tragödie von 2002 sich im Jahre 2021 im Bundestagswahlkampf nicht als Farce wiederholt, wenn auch diesmal mit leicht vertauschten Rollen.

Die kommende Aufgabe

Dass unser grandioser Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU sich in trauter Eintracht mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und der Linken-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Amira Mohamed Ali für billigen Sprit als Sozialpolitik einsetzt, ist vor allem kurzsichtig, war jedoch leider erwartbar. Dass die beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Armin Laschet in ein ähnliches Horn stoßen, nur um sich von der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock abzusetzen, ist schon wesentlich kritischer. Wo bleibt da der Gestaltungsanspruch?

Man kann nicht einerseits von sich behaupten, die Dimension der Klimaherausforderung wirklich verstanden zu haben, die ja faktisch nichts Geringeres bedeutet als eine sehr weitgehende sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft während der vor uns liegenden Dekade, und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, alles könne es im gewohnten Trott mit einer Politik der Trippelschritte und ohne jede Zumutung weitergehen.

Die vor uns liegende Aufgabe beim Umbau des Energiesystems besteht aus zwei Elementen des Strukturwandels: Der deutlichen Reduzierung des Energieverbrauchs einerseits und der vollständigen Dekarbonisierung des Energiesystems und seiner Umstellung auf erneuerbare Quellen andererseits. Beide Elemente sind gleich wichtig und betreffen Technologien, Institutionen, soziale Arrangements und individuelle Lebensstile. Für beide Strategien werden neben dem Einstellungswandel der Menschen und dem Ordnungsrecht auch angemessene CO2-Steuern benötigt, die der Größe der Herausforderung entsprechen.

Worüber sich zu streiten lohnt

Unmittelbare Gerechtigkeit lässt sich dabei (anders als bei Einkommens-, Kapital- oder Vermögenssteuern) nicht über die Steuererhebung selbst erreichen – jede Tonne CO2 ist gleich zu behandeln. Von Ausnahmen ist so weit wie möglich abzusehen. Gerechtigkeit lässt sich nur über den Rückgabemodus des erzielten Steueraufkommens erreichen, der einkommensschwache Gruppen begünstigen muss. Über die Frage, ob das am besten über ein für alle gleiches Energiegeld, über sinkende Sozialversicherungsbeiträge für die Bezieher*innen niedriger Einkommen, über gezielte öffentliche Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen oder eine Mischung aus all dem geht, lohnt sich der politische Streit, gerade auch im Wahlkampf.

Allerdings haben auch die Bündnisgrünen eine Denk- und vor allem Kommunikationsaufgabe. Sie müssen klar machen, dass CO2-Steuern kein Ziel an sich sind, sondern ein Instrument – unter mehreren. Das Ziel kann sicher nicht die Ökonomisierung der Klimapolitik sein, wie sie Kathederökonom*innen vorschwebt, die alles über Preise regeln wollen, sondern nur die Mobilisierung von sozialer Kreativität und die Schaffung von gesellschaftlicher Aufbruchstimmung für den Klimaschutz. Die richtigen Anreizstrukturen können dabei helfen, weil es auf Dauer auch für Gutwillige schwer ist, gegen eine schiefe Ebene falscher Preise anlaufen zu müssen. Aber sie ersetzen keine gemeinwohlorientierte Politik und erst recht keine gemeinsame Gesellschaftsgestaltung.

Geschichten des Gelingens

Heute wissen wir dank des Bundesverfassungsgerichtes: Die Abwälzung der Kosten des Klimawandels auf junge Menschen und zukünftige Generationen ist ein schwerwiegender Eingriff in ihre Freiheitsrechte – und damit verfassungswidrig. Das werden in Zukunft weltweit immer mehr Gerichte ganz ähnlich entscheiden. Schreiben wir sie also besser jetzt, die sozial-ökologischen Geschichten des Gelingens, und verplempern wir keine Zeit mehr! Auf AfD-Niveau sollten die demokratischen Parteien sich jedenfalls nicht begeben. Es wäre eine Farce.

 

[1]  https://www.spiegel.de/politik/keine-angst-vorm-automann-a-f17937d1-0002-0001-0000-000007859180?context=issue

Reinhard Loske
Reinhard Loske ist Präsident der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Bernkastel-Kues und dort auch Professor für Nachhaltigkeit. Er hat das Gesetz zur ökologischen Steuerreform (1998/99) als Bundestagsabgeordneter der Grünen maßgeblich mitgeprägt. Für seine politische und wissenschaftliche Arbeit in diesem Feld wurde Loske 2008 mit dem Adam-Smith-Preis des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) ausgezeichnet.

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