„Schützen durch Nützen“ | Interview mit Roland Heidelberg

Biene und BlumeAlle Fotos: Biosphärengebiet Schwäbische Alb

 

„Schützen durch Nützen“ – Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb

Wacholderheiden und Buchenwälder, Weiden und Streuobstwiesen, Äcker und sogar Zonen mit industrieller Nutzung – das etwa 85.270 Hektar große südlich von Stuttgart gelegene Biosphärengebiet Schwäbische Alb wurde 2008 eingerichtet und ist seit 2009 eines von 16 UNESCO-Biosphärenreservaten in Deutschland. Biosphärenreservate, von denen es weltweit 727 gibt (Stand Oktober 2021), sind Modellregionen, in denen aufgezeigt werden soll, wie sich Wirtschaft, Tourismus und Besiedlung mit den Belangen des Umwelt- und Landschaftsschutzes innovativ fortentwickeln lassen. Die Anerkennung von Biosphärenreservaten durch die UNESCO erfolgt auf Antrag nach Erfüllung verbindlicher Kriterien.

Die 727 Biosphärenreservate machen fünf Prozent der Landmasse der Erde aus. Ziel der UNESCO ist es, dass bis 2030 sogar 30 Prozent des Planeten zu Biosphärenreservaten erklärt werden, in denen die Erhaltung der biologischen Vielfalt mit ökologischer Bildung und nachhaltigen Wirtschaftsformen verbunden werden soll.

NACHGEFRAGT BEI ROLAND HEIDELBERG (Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb):

In Deutschland gibt es 18 Biosphärenreservate, 16 davon sind von der UNESCO anerkannt. Was zeichnet das Biosphärengebiet Schwäbische Alb aus? Welchen Zielen dient es?

Als Modellregion für nachhaltige Entwicklung verfolgt das Biosphärengebiet Schwäbische Alb das übergeordnete Ziel, ökologische, ökonomische und soziale Interessen unter dem Leitbild einer naturschutzorientierten und nachhaltigen Regionalentwicklung zusammenzuführen. Dieses Ziel und dieser integrative Ansatz werden mittels einer intensiven Beteiligung von sehr vielen Akteur*innen und zahlreicher nachhaltiger Modellprojekte in verschiedenen Handlungsfeldern erfüllt. Kurzum geht es im Biosphärengebiet Schwäbische Alb, wie in allen Biosphärenreservaten, um ertragreiche Wirtschaftsformen, ein gelingendes gesellschaftliches Zusammenleben – und zugleich um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Nachhaltige Entwicklung heißt, Ressourcenerhalt nicht gegen wirtschaftliches Wohlergehen auszuspielen.

Das Weltnetz der Biosphärenreservate dient dem Austausch der Mitglieder auf ihrer Suche nach Möglichkeiten, die Bedürfnisse der Menschen und den Erhalt der biologischen Vielfalt in Einklang zu bringen. Wie sieht dieser Austausch aus? Wie profitiert das Biosphärengebiet Schwäbische Alb davon?

Im Zuge der Globalisierung und des steigenden Wettbewerbs kann ein anerkanntes UNESCO-Biosphärenreservat der Schwäbischen Alb positive Impulse für die Zukunft geben. Durch die bei Verbraucher*innen mit hoher Glaubwürdigkeit belegte UNESCO-Auszeichnung erfährt die Region weiter zunehmende Bekanntheit und verschafft in einem ersten Schritt besonders dem Tourismus zusätzliche Einnahmen. Intensive Kooperationen und Zusammenschlüsse mit Gastronomie, Landwirtschaft und dem Handwerk sichern langfristig Arbeitsplätze und schaffen neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese regionalen Wertschöpfungsketten tragen gleichzeitig zur Sicherung und Bewahrung der über viele Jahrzehnte gewachsenen wertvollen Kulturlandschaft bei.

Als Modellregion für nachhaltige Regionalentwicklung sind zudem Bewerbungen um nationale und internationale Fördertöpfe erfolgreicher. Doch auch für Wirtschaft und Handel ergeben sich Chancen durch die regionale Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen, Innovationen oder die Gewinnung von qualifizierten Fachkräften durch ein attraktives Arbeitsumfeld. Aufgrund der bestehenden Erfahrungen, des Wissensaustauschs der Biosphärenreservate untereinander und der Unterstützung durch renommierte Fachleute ist die Aufnahme in das Weltnetz der Biosphärenreservate auch ein zusätzlicher Gewinn für die Region.

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Das Projekt Bienenstrom wurde vom Biosphärengebiet Schwäbische Alb in Kooperation mit den Stadtwerken Nürtingen initiiert. Worum geht es dabei? In welchem Verhältnis stehen dabei Artenschutz und Wirtschaft?

Das Projekt Bienenstrom der Stadtwerke Nürtingen und des Biosphärengebietes Schwäbische Alb verbindet die Erzeugung von Strom mit dem Anbau von Wildpflanzen. Hinter dem Projekt verbirgt sich seit 2018 eine Initiative der Stadtwerke Nürtingen GmbH in Kooperation mit der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Ziel ist es, durch Förderung von Blühäckern als Quelle einer regionalen Ökostromgewinnung gegen das stark voranschreitende Insektensterben vorzugehen. Indem Reinkulturen wie beispielsweise Maisäcker durch artenreiche Blühflächen ergänzt werden, ergeben sich einige Vorteile für Mensch und Natur. Denn auch diese speziellen Blühmischungen lassen sich in Biogasanlagen zu Strom verarbeiten, sie liefern jedoch deutlich weniger Ertrag als konventionelle Kulturen. Zu den Vorteilen gehört zum einen die optische Aufwertung der Kulturlandschaft im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Zudem entstehen durch die Förderung dieser Flächen neue Lebensräume für Wildbienen und weitere Insekten und damit auch für Feldvögel. Ein reduzierter Düngeraufwand, die Verbesserung der Humusbilanz und der Verzicht auf Pflanzenschutz gehen ebenfalls mit dem Einsatz der Biogas-Blühmischungen einher. Zum Einsatz kommt dabei die Blühmischung BG 70, die viele Pflanzen wie Steinklee, Wegwarte oder Buchweizen enthält. Ein Cent jeder verbrauchten Kilowattstunde (kWh) fließt in die Finanzierung des Aufbaus und der Pflege von Blühflächen ein. Beispielhaft entsteht so bei einem 3-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 3600 kWh pro Jahr eine Lebensraum-Fläche von 500 m2 für Bienen und Insekten.

Ein BienenstromackerDas Projekt „Bienenstrom“ ist also eine zukunftsorientierte Möglichkeit, Maßnahmen zur biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft zu integrieren und den Landwirt*innen sowie den Endverbraucher*innen neben dem Lebensmittelsektor auch in anderen Branchen die Möglichkeit zu geben, positiven Einfluss auf die nachhaltige Flächenbewirtschaftung im Biosphärengebiet zu nehmen. Die Aufwertung des Landschaftsbildes kommt dabei sichtbar den Verbraucher*innen und den Gästen der Region zu Gute. Neben zahlreichen Landwirt*innen aus der Region sind auch bereits einige Landwirt*innen aus Norddeutschland Teil der Initiative.

Viele Naturschutzverbände fordern strengere Regeln für den Naturschutz in Deutschland. Sehen Sie auch im Biosphärengebiet Schwäbische Alb noch Handlungsbedarf?

Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb entwickelt sich gemeinsam mit den Menschen vor Ort – auch im Naturschutzbereich. Die Region setzt auf einen freiwilligen Ansatz und ökonomische und soziale Vorteile beim Schutz der Natur insbesondere für den wirtschaftenden Menschen. „Schützen durch Nützen“ ist das übergeordnete Motto der Aktivitäten der Region. Sollen beispielsweise die ökologisch wertvollen Streuobstwiesen dauerhaft erhalten werden, müssen genügend soziale und wirtschaftliche Anreize für die, die sie bewirtschaften vorhanden sein. Eine reine Unterschutzstellung wird die Streuobstwiesen nicht erhalten.

Kampagnen-Motiv der Biosphärenreservate

Mehr zum Projekt Bienenstrom sowie zur „Verrückt auf Morgen„-Kampagne der Biosphärenreservate in Deutschland: https://verrueckt-auf-morgen.de/projekte-oekonomie/

Mehr über das Biosphärengebiet Schwäbische Alb: https://www.biosphaerengebiet-alb.de/

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