Solidarische Landwirtschaft

KarottenFoto: David Holifield | unsplash

 

Solidarische Landwirtschaft

Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten ihren Wert zurück – recherchiert man zur „solidarischen Landwirtschaft“ (SoLaWi), begegnet einem diese Aussage. Ist jenseits des Pathos etwas dran? Der Grundgedanke: Ein Netz von Verbraucher*innen (die „SolawiS“) schließt sich mit Erzeuger*innen kurz, unter Umgehung des Zwischenhandels und der Supermärkte. Die SolawiS erhalten für ihren Beitrag nicht eine bestimmte Anzahl an landwirtschaftlichen Produkten, sondern finanzieren den landwirtschaftlichen Betrieb. Die Produzent*innen sollen so unabhängig von den Marktpreisen einen boden-, tier-, mitarbeiter- und sich selbst schonenden Betrieb führen können. Anstatt gleichförmiger und ertragreicher Hybridsorten können samenfeste Sorten gepflanzt werden. Krumme Gurken oder zweibeinige Möhren, die üblicherweise aussortiert werden, werden vom Netzwerk der SolawiS auch genommen. Die holen sich ihre Kisten direkt vom Hof oder an Verteilpunkten ab. Bei vielen so organisierten Betrieben sollen sich die Konsument*innen zu Prosument*innen verwandeln und zuweilen selbst auf dem Feld Hand anlegen. So soll die Entfremdung zwischen Küchentisch und Acker aufgehoben werden.

Der Reyerhof in Möhringen bei Stuttgart ist seit 2013 ein Solawi-Betrieb. Wir haben dem Landwirt Lukas Dreyer ein paar Fragen gestellt.

 

NACHGEFRAGT BEI LANDWIRT LUKAS DREYER

Herr Dreyer, Sie sind Ende 2015 als Hofnachfolger auf den Reyerhof gekommen. Warum haben Sie sich für einen Solawi-Betrieb entschieden?

Nachdem ich in der Nähe von Osnabrück einen Solawi-Betrieb mitaufgebaut habe, war für mich klar, dass ich auf meinem eigenen Hof nach diesem Modell direktvermarkten möchte.

Solidarische Landwirtschaft ist mir wichtig, weil ich eine vielfältige ökologisch-dynamische Landwirtschaft betreiben möchte. Wichtig ist mir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Viehhaltung und Ackerkulturen – Streuobstwiesen, Gemüse, Getreide, Luzerne, Kleegras in der Fruchtfolge als Futter für die Kühe, Legehennenhaltung. Diese Vielfalt ist nötig, um langfristig die Bodenfruchtbarkeit auf- und nicht abzubauen.

Im üblichen Marktumfeld geht Vielfalt zulasten der Wirtschaftlichkeit. Bei der solidarischen Landwirtschaft ist das anders: Die Vielfalt führt zur Zufriedenheit der Solawi-Mitglieder und stützt damit auch die Wirtschaftlichkeit des Betriebs.

 

Welche Problemlagen sehen Sie in der Landwirtschaft? Was muss unbedingt gestoppt werden?

Da gibt es viele Punkte, aber teilweise stimmt die Priorisierung in der Diskussion nicht. Wir essen sicherlich viel zu viel Fleisch, aber gegen die pauschale Kritik an der Viehhaltung, vor allem an der Haltung von Rindern, möchte ich mich wehren. Es ist beispielsweise sehr wichtig, wie die Tiere gefüttert werden. Füttert man Rinder wie Schweine, verschlechtert sich deren Klimabilanz deutlich. Aber es greift zu kurz, nur zu messen, welche Gase die Kuh ausstößt. Wiederkäuer sind wichtig für die Bodenfruchtbarkeit – wir brauchen den tierischen Mist als Dünger. Langzeituntersuchungen zeigen, dass Betriebe mit Rinderhaltung fruchtbarere Böden haben. Das Futter für die Kühe kann auf Flächen angebaut werden, die für den Gemüse- und Getreideanbau ungeeignet sind, beispielsweise Wiesen in Hanglage. Über den Eierkonsum wird zu wenig geredet. Da denken viele an ihre Frühstückseier oder die Eier, die sie in den Kuchen schlagen. Aber die Mengen, die in verarbeiteten Produkten stecken, Nudeln beispielsweise, sind den wenigsten bewusst. Schweine und Hühner hingegen sind auf Futter angewiesen, aus dem wir Brot backen könnten. Entscheidend sind die Ausmaße: Werden zu viele Tiere gehalten, dann werden deren Exkremente zu Sondermüll. Nicht die Tierhaltung an sich ist das Problem, sondern die Massentierhaltung.

Ein weiteres Problem ist der Verbrauch fossiler Energie. Der Dieselbedarf ist sehr hoch und im Bereich der alternativen Antriebe für landwirtschaftliche Zugmaschinen tut sich sehr wenig.

Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt: Wir müssen aufhören, Wüsten zu machen. Dazu müssen wir zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Böden kommen, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, wenn nicht sogar wieder aufzubauen. Dafür ist die Vielfalt auf dem Hof wesentlich: Der tierische Dünger und Kleegras oder Luzerne in der Fruchtfolge sind wichtig, um organische Substanz für den Boden zu produzieren. Es stellt sich also die Frage, wie werden die Böden bewirtschaftet? Werden die Böden aufgebaut und binden sie CO2 oder werden sie abgebaut und wird CO2 freigesetzt?

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Welche Ansätze zu einem Neustart sehen Sie in der Landwirtschaft? Wie trägt die solidarische Landwirtschaft dazu bei?

Ganz wichtig ist mir das Kreislaufdenken: Was entziehe ich den Böden und was gebe ich ihnen zurück? Als biologisch-dynamischer Landwirt versuche ich, sinnvolle Nährstoffkreisläufe herzustellen. Das werden wir zwar nie hundertprozentig hinbekommen, weil wir Lebensmittel verkaufen und damit Nährstoffe aus dem Kreislauf rausgeben. Man kann sich aber darum bemühen, die Kreisläufe so gut es geht zu schließen. Für uns bedeutet das, dass wir nur so viel Vieh halten, wie wir auch Futter anbauen können. Oder wir müssen uns überlegen, wie viel Vieh wir halten müssen, um genug Dünger zu erhalten.

Was unbedingt geschehen muss, ist, dass die Wertschätzung der Produkte der Landwirtschaft, also der Lebensmittel, steigen muss. Wir haben ein sehr geringes Lohnniveau in der Landwirtschaft. Überall sonst in der Lebensmittelkette werden höhere Gewinne generiert, was wiederum den Handlungsspielraum der Landwirt*innen verringert. Die Betriebe, die direkt vermarkten, haben eine andere Struktur der Wertschöpfung und dadurch mehr Spielraum, nachhaltiger zu wirtschaften. In der Direktvermarktung kann man den Kund*innen erklären, warum die Lebensmittel ihren Preis auch wert sind. Auf dem anonymen Markt geht das nicht. Im Supermarkt kostet ein Lebensmittel irgendwas und die Kund*innen wissen nur, dass das eine Produkt günstiger ist als das andere.

Die solidarische Landwirtschaft verstärkt die Vorteile der Direktvermarktung. Die Verbraucher*innen wissen ganz genau, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden, was wir Landwirt*innen verdienen und wie viel wir arbeiten. Sie erhalten die Möglichkeit, selbst auf dem Hof Hand anzulegen. Durch all das bekommen die Mitglieder der Solawi einen Eindruck davon, was landwirtschaftliche Produktion bedeutet und wie die Kreisläufe aussehen. So können wir auch ein Verständnis dafür schaffen, wie die Landwirtschaft umgestaltet werden muss. Wenn die Solawi-Mitglieder das wollen und das Geld dafür aufbringen, dann wird das auch gemacht.

Dieser Beitrag ist in agora42 2/2021 STOPP! NEUSTART in der Rubrik LAND IN SICHT erschienen. In dieser Rubrik geht es um zivilgesellschaftliche Projekte und Unternehmen, die ökonomisches und gesellschaftliches Neuland betreten.

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