Märkte, Macht und Mikrokämpfe | Interview mit Joseph Vogl

Graffiti: Demokratie in Gefahr?Foto: unsplash

 

Märkte, Macht und Mikrokämpfe

Interview mit Joseph Vogl (gekürzt) | online veröffentlicht am 13.01.2024

Herr Vogl, Sie haben 2010 ein Buch mit dem Titel Das Gespenst des Kapitals veröffentlicht – was ist am Kapital gespenstisch?

Der Titel hat verschiedene Konnotationen. Er spielt auf der einen Seite auf das „Gespenst des Kommunismus“ an, jene berühmte Formulierung des Kommunistischen Manifests. Auf der anderen Seite meine ich mit „Gespenst“ das spezifische Wiedergängertum des Kapitals, seine Zukunftssüchtigkeit. Kapital ist aus dieser Perspektive etwas, das die Zukunft beleiht und durch diese Beleihung der Zukunft unmittelbar in die Gegenwart hereinreicht. Es macht sich also nicht wie in älteren Schauergeschichten eine vergangene Schuld durch ein blutiges Gespenst in der Gegenwart bemerkbar und pocht auf eine rückwirkende Behebung, sondern es sind künftige Schulden, die aus der Zukunft in die Gegenwart zurückkommen – das ist das Gespenst des Kapitals. Diese Zukunft richtet in der Gegenwart tatsächlich etliches an Schlamassel an. Märkte, Macht und Mikrokämpfe | Interview mit Joseph Vogl weiterlesen

LEBEN IN DER KLIMAKRISE – Editorial zu Ausgabe 4/2023 | Frank Augustin

Brücke vor orange-farbenem HintergrundFoto: unsplash


LEBEN IN DER KLIMAKRISE

Editorial zu Ausgabe 4/2023

Die Klimakrise wird das Ende des Kapitalismus erzwingen. Vom Wirtschaftswachstum erschaffen, tötet sie jetzt ihren Erzeuger.

Das ist eine gute Nachricht. Zu viele hatten es sich mit Anspruch auf Endgültigkeit im real existierenden Kapitalismus eingerichtet, glaubten, bei den Vernünftigen und Guten, jedenfalls auf dem richtigen Weg zu sein. Und auch wenn der manchmal steinig war, genügte es in der Regel doch, einfach mitzulaufen. Nach einer halben Ewigkeit systemischer Konformität ist es kein Wunder, dass eine adäquate Reaktion auf die Gefährdungen ausbleibt: Da wird die Erderhitzung immer bedrohlicher, gefährden Extremwetterereignisse und andere Umweltkatastrophen unsere Leben(-sgrundlagen), sterben die Tierarten weg, trocknen die Böden aus, während nebenbei der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft bröckelt, psychische Erkrankungen zum Normalzustand werden usw. Und wir? Hoffen auf ein Wunder! Vielleicht löst ja eine KI wie durch Zauberei alle unsere Probleme; oder ein Supercomputer ermittelt eine Formel für das perfekte ökologisch-ökonomisch-soziale Zusammenleben; oder der Markt regelt das … LEBEN IN DER KLIMAKRISE – Editorial zu Ausgabe 4/2023 | Frank Augustin weiterlesen

„Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“ | Interview mit Eva von Redecker

Sticker: "Kapitalismus ist kein Naturgesetz"Foto: Markus Spiske | unsplash

 

„Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“

Interview mit Eva von Redecker | online veröffentlicht am 29.08.2023

„Der Kapitalismus zerstört das Leben“ – dieser Satz findet sich gleich auf der ersten Seite Ihres Buches Revolution für das Leben. Was ist Kapitalismus und was macht ihn so zerstörerisch?

Ich finde die gängigen Definitionen von Kapitalismus nicht falsch – Privatbesitz an Produktionsmitteln zum Beispiel –, definiere ihn aber selbst anders: als sachliche Sachherrschaft. Im Kapitalismus sind nach meinem Verständnis zwei Herrschaftsformen auf Dauer gestellt: Zum einen die Herrschaft, die durch das moderne Eigentum strukturiert wird: Sachherrschaft; und zum anderen die durch die kapitalistische Verwertung strukturierte Herrschaft, die ich in Anlehnung an Karl Marx „sachliche“ Herrschaft nenne. Dabei geht es um die profitorientierte Warenproduktion für den Markt. „Revolution ist, wenn vorher Undenkbares selbstverständlich geworden ist.“ | Interview mit Eva von Redecker weiterlesen

Auf den Umwegen entsteht das Leben | Interview mit Hartmut Rosa

BeschleunigungFoto: Chris Dickens | unsplash

 

Auf den Umwegen entsteht das Leben

Interview mit Hartmut Rosa (Auszug)

„Jede*r ist seines Glückes Schmied“, bekommt man einerseits zu hören, wenn es um die Frage nach dem guten Leben geht. Andererseits quellen die Buchladenregale über von Ratgebern für ein erfolgreiches und gelingendes Leben. Warum befasst sich eine kritische Theorie der Gesellschaft mit dem guten Leben?

Ob Kritische Theorie generell über das gute Leben nachdenken muss, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Es gibt Vertreter*innen der Kritischen Theorie, die sagen: „Nein, das soll sie gerade nicht. Kritische Theorie sollte auf das Falsche hinweisen und mehr nicht“ – in Anlehnung an den Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Mir wurde vorgeworfen, ich würde die Kritische Theorie um ihr Wichtigstes bringen, nämlich die reine Negativität. Von einer solchen Position versuche ich mich abzusetzen, denn sonst wird Kritik letzten Endes zum wirkungslosen Nörgeln – „Alles ist schlecht und müsste ganz anders sein und der Kapitalismus ist sowieso ganz böse“. Solche Kritik erzeugt überhaupt keine transformativen Energien. Auf den Umwegen entsteht das Leben | Interview mit Hartmut Rosa weiterlesen

(Wir) Zombies | Georg Seeßlen

Zombie mit MaskeIllustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

(Wir) Zombies

Text: Georg Seeßlen

Zombie: Mythos und Magie

Der Begriff Zombie entstammt der zentralafrikanischen Bantu-Sprache Kimbundu und leitet sich aus dem Wort „nzùmbe“ ab, das allgemein einen „Totengeist“ bezeichnet, so wie es ihn in jeder Mythologie der Welt gibt: Die klare Grenze zwischen lebend und tot, eine der „primären Unterscheidungen“ bei der Entwicklung von Sprache und Zivilisation, wird durch Wesen infrage gestellt, die nicht wirklich leben und nicht wirklich sterben können. Es gibt eine Schuld für diesen tragischen und gefährlichen Umstand, die bei den Untoten selbst, aber auch bei den Anverwandten (die ihn nicht in der vorgeschriebenen Weise bestatteten und betrauerten) oder schließlich bei finsteren Mächten oder Kulten liegen kann, die sich in die Ur-Ordnung von Leben und Tod einmischen. Wie alle Gespenster, Geister, Wiedergänger, Halbwesen, Untoten und Dämonen ist auch ein „nzùmbe“ teils bedrohlich und teils mitleiderregend. (Wir) Zombies | Georg Seeßlen weiterlesen

Tanzende Verhältnisse – Die Weltethos-Idee und die Suche nach dem Kapital der Veränderung | Bernd Villhauer

Cheshire CatFoto: Tim Hüfner | unsplash

 

Tanzende Verhältnisse

Die Weltethos-Idee und die Suche nach dem Kapital der Veränderung

Text: Bernd Villhauer

Bei der Suche nach Expert*innen für Kapital werden wohl nur wenige auf den britischen Schriftsteller und Mathematiker Lewis Carroll und den schweizerischen Theologen Hans Küng kommen. Beide können aber hilfreich sein, um eine bestimmte Form von Kapital zu beschreiben: Jene Kraft, die es den Menschen erlaubt, ihre Verhältnisse zu revolutionieren. Tanzende Verhältnisse – Die Weltethos-Idee und die Suche nach dem Kapital der Veränderung | Bernd Villhauer weiterlesen

ZUSAMMENBRUCH – Editorial zu Ausgabe 1/2023 | Frank Augustin

Cover-Illustration agora42 1/2023 ZUSAMMENBRUCHIllustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

ZUSAMMENBRUCH

Editorial zu Ausgabe 1/2023

Es ist nicht die Frage, ob der Zusammenbruch kommt oder nicht. Die eigentliche Frage ist, weshalb so viele den Zusammenbruch nicht sehen oder nicht sehen wollen.

Dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, ist allgemein bekannt. Dies aber bedeutet Zusammenbruch, denn der Kapitalismus, auf dem unser Leben beruht, muss weitergehen oder er geht unter. ZUSAMMENBRUCH – Editorial zu Ausgabe 1/2023 | Frank Augustin weiterlesen

Revolution als Notbremse – Walter Benjamin | Eneia Dragomir

Porträt von Walter BenjaminIllustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

Revolution als Notbremse – Walter Benjamin (1892–1940)

Text: Eneia Dragomir

20 Jahre lang begleitete Walter Bendix Schoenflies Benjamin ein Bild des von ihm überaus geschätzten Malers Paul Klee: der Angelus Novus. Klee hatte die Zeichnung im schweizerischen Exil angefertigt, in das er nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik geflohen war. Der 1892 in großbürgerliche Berliner Verhältnisse geborene Benjamin hatte die aquarellierte Zeichnung 1921 erworben, musste sie nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 jedoch auf seiner Flucht nach Paris zurücklassen. 1935 brachten ihm Freunde den Angelus ins französische Exil. Erst als Benjamin 1940 auch Paris vor dem Einmarsch deutscher Truppen verlassen musste, gab er die Zeichnung mit anderen Aufzeichnungen und Texten in die Obhut des befreundeten französischen Intellektuellen Georges Bataille, der sie in der Bibliothèque nationale versteckte. Im September 1940 versuchte Benjamin, über die Pyrenäen nach Lissabon zu fliehen, mit dem Ziel, weiter in die Vereinigten Staaten zu gelangen. In einem spanischen Grenzflecken wurden er und seine Begleiter*innen von der spanischen Polizei festgesetzt. Da in Spanien 1939 faschistische Militärs mit Unterstützung NS-Deutschlands die Republik gestürzt hatten, drohte Benjamin die Auslieferung. Ob sich der Philosoph angesichts dieser Gefahr in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 mit einer Überdosis Morphium das Leben genommen hat, ist immer noch umstritten. Zweifellos ist es tragisch, denn seine Begleiter*innen konnten ihre Flucht am nächsten Tag fortsetzen. Revolution als Notbremse – Walter Benjamin | Eneia Dragomir weiterlesen

RESILIENZ – Editorial zu Ausgabe 2/2022 | Frank Augustin

Cover-Illustration zur Ausgabe 2/2022Illustration: DMBO – Studio für Gestaltung

 

RESILIENZ

Editorial zu Ausgabe 2/2022

Mitten in die Erstellung dieser Ausgabe hinein platzte die Meldung vom Krieg in Europa. Überraschend? Nur für jene, die seit der Annexion der Krim und dem Syrien-Konflikt geschlafen haben, in dem sich Putin und seine Führungsriege mit unverzeihlicher Brutalität zu politischer Bedeutung zurückgebombt haben. Dass es so weit kommen konnte, sagt einiges aus über den Zustand westlicher Demokratien. Wachsamkeit und Entschlossenheit sehen anders aus – und verhindern die Eskalation von Konflikten. RESILIENZ – Editorial zu Ausgabe 2/2022 | Frank Augustin weiterlesen

Demokratie und Eigentum neu denken | Giacomo Corneo

HochhäuserFoto: Justus Menke | Unsplash

 

Demokratie und Eigentum neu denken

Politische Selbstbestimmung und der Bundesaktionär

Text: Giacomo Corneo

Liberale Gesellschaftswissenschaftler in der Tradition von Karl Popper und F. A. von Hayek machen den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft von der Trennung des wirtschaftlichen vom politischen Sektor der Gesellschaft abhängig. Von einer solchen Trennung kann heute keine Rede mehr sein. Um der Übermacht des Wirtschaftlichen wieder Herr werden zu können, bedarf es gleichermaßen des demokratischen Empowerments wie der Etablierung eines Bundesaktionärs. Demokratie und Eigentum neu denken | Giacomo Corneo weiterlesen