Über eine andere Zukunft sprechen und nachdenken | Interview mit Ronja Morgenthaler

Pappschild: Make our planet great againFoto: Christian Lue | Unsplash

 

Über eine andere Zukunft sprechen und nachdenken

Interview mit Ronja Morgenthaler vom Konzeptwerk Neue Ökonomie

In Ihrem Projekt „Zukunft für alle“ haben sich Teilnehmende Ihrer „Zukunftswerkstätten“ die Frage gestellt, wo sie im Jahre 2048 aufwachen würden, was sie dann essen und wo sie arbeiten würden. Warum 2048? Warum überhaupt die futurologische Fragestellung?

Über eine andere Zukunft zu sprechen und nachzudenken ist dringend notwendig. Wir leben in einer Gesellschaft voller Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung und ungleicher Machtverteilung. Das kann und darf so nicht bleiben. Wenn wir die Klimakrise stoppen und globaler Ungerechtigkeit etwas entgegensetzen wollen, müssen wir unser Wirtschaftssystem umbauen.

Dieses System ist nicht alternativlos. In 13 Zukunftswerkstätten haben wir mit Vordenker*innen konkrete Utopien entwickelt. Mit der Frage wie unser Leben im Jahr 2048 aussieht, wollten wir dazu anregen darüber nachzudenken, wohin eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft führen könnte. Es ist wichtig Ideen und Vorstellungen davon zu haben, wie das gute Leben für alle und eine gerechte Zukunft konkret aussehen.

Wir haben 2018 mit der Planung des Projektes begonnen. 30 Jahren sind eine Zeitspanne, in der sich wirklich etwas verändern kann. Gleichzeitig liegt dieses Datum, für viele von uns, noch in unserer Lebenszeit. Das heißt wir werden die Gesellschaft 2048 erleben und sind gleichzeitig dafür verantwortlich, dass sie sich zum Besseren verändert hat. Außerdem erinnert die Zahl „acht“ an revolutionäre Jahreszahlen wie 1848, 1918 und 1968. Das gefällt uns.

 

In unserer neuen Ausgabe (03/2020) kritisiert der Postwachstumsökonom Niko Paech die Vorstellung, man könne die ökologische Transformation steuern – Sie sagen selbst, dass es auf dem Kongress „Zukunft Für Alle“, der Ende August digital und vor Ort in Leipzig stattfinden wird, nicht darum geht, einen Masterplan für die Zukunft zu entwerfen. Worauf kommt es in der jetzigen Situation an? Wie passt der Kongress dazu?

Wir wollen weder eine Prognose abgeben noch einen Plan entwickeln. Wir gehen nicht davon aus, dass die Vision, die wir gemeinsam entwerfen, in dieser Form eintritt. Uns geht es darum eine ernsthafte gesamtgesellschaftliche Debatte zu beginnen, wie eine sozial und ökologisch gerechte Zukunft konkret aussehen kann.

Die Vision, die wir skizzieren ist ein Vorschlag zur Beantwortung der Frage, wie wir leben wollen und wie sich das erreichen lässt. „Zukunft für alle“ soll zum Denken, Träumen, Debattieren und Kritisieren anregen. Und genau dazu wollen wir auf dem Kongress im August einladen. Mit diesem Vorhaben sind wir in der Vorbereitung auf offene Ohren gestoßen. Viele Menschen arbeiten schon jetzt an einer besseren Zukunft. Wir wollen all jene zusammenbringen: aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Politik, Medien, NGO‘s und der Praxis.

 

Zwischenzeitlich schien sich mit der Corona-Krise Raum für Veränderung zu öffnen – Unerhörtes war auf einmal möglich, um die akute Krise zu bewältigen. Nun droht auch das bisher im Kampf gegen den Klimawandel Erreichte zur Disposition zu stehen, um der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Wie sehen Sie die Lage? Öffnet sich der Handlungsraum oder ist Erreichtes in Gefahr?

Die Corona-Krise hat vor allem vor Augen geführt, wie fragil und ungerecht unser Wirtschaftssystem ist. Durch die Folgen der Krise sind Menschen in prekären Lebenssituationen besonders betroffen. Die Krise zeigt aber auch, worauf es im Zweifel wirklich ankommt: eine materielle Grundversorgung, gutes und sicheres Wohnen, Sorge-Arbeit, ein Gesundheitssystem, das allen zugänglich ist – und der Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen. Sie hat auch gezeigt, dass es durchaus möglich ist, auf Krisen mit weitreichenden Maßnahmen zu reagieren. Aus dieser kollektiven Erfahrung können wir viel lernen, auch für die Bewältigung der Klimakrise.

Wenn jetzt mit Konjunkturpaketen der Konsum wieder angekurbelt werden soll und fossile Industrien mit Steuergeldern gerettet werden, dann folgt das einer kapitalistischen Wachstumslogik. Damit bleibt alles beim Alten und wir verpassen die Chance für einen grundlegenden Wandel.

Dennoch stellen Ereignisse wie die Corona-Pandemie Brüche dar, die immer auch Möglichkeitsfenster öffnen. Gerade deshalb brauchen wir jetzt Orte und Räume, wie den Kongress Zukunft Für Alle, an denen wir zusammenkommen und darüber diskutieren, wie wir diese Potenziale nutzen können.

Es liegt an uns, die Erfahrungen dieser Zeit nicht versanden zu lassen, sondern weiter für soziale und ökologische Gerechtigkeit zu streiten, zu diskutieren und uns zu vernetzen.

 

Selbst unter Befürworter*innen einer grundlegenden Transformation des Wirtschaftens gibt es die Sorge, dass dieser Umbau zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen könnte, die rechtsextremen politischen Kräften zum Aufstieg verhelfen könnten. Halten Sie diese Sorgen für berechtigt? Wie könnte diese Gefahr entschärft werden?

Der Kapitalismus führt schon jetzt zu sozialen Verwerfungen, die für viele Menschen existenzielle Folgen haben. Der Aufstieg der Rechten ist ja auch Folge eines ungerechten Systems, das Menschen ausschließt und Konkurrenz anstachelt, anstatt Kooperation zu belohnen. Um die sozialen Kosten der Transformation abzufedern, müssen Menschen umfassend in ihren grundlegenden Bedürfnissen abgesichert sein. Außerdem kann eine Zukunft für alle nicht von oben diktiert werden. Was für alle sein soll, muss auch von allen sein. Deshalb geht mit einer sozial-ökologischen Transformation auch eine weitreichende Demokratisierung der Gesellschaft einher. Teilhabe und Mitbestimmung sind ihre Grundpfeiler. Ein solcher Prozess steht einem autoritären Prinzip, wie es die extreme Rechte vertritt, diametral entgegen.

Auch unsere Vision für 2048 beruht auf nicht verhandelbaren Grundwerten. Eine Zukunft für alle ist eine Gesellschaft der Vielen, in der Rassismus und Diskriminierung keinen Platz finden, in der es vielfältige Formen zu denken, zu lieben, zu arbeiten, zu glauben und zu leben gibt. ■

Ronja Morgenthaler
Ronja Morgenthaler ist Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Konzeptwerks Neue Ökonomie in der Öffentlichkeitsarbeit und im Projekt „Zukunft für alle“. Dort arbeitet sie an machbaren Utopien und Konzepten für ein gutes Leben für alle. Sie ist außerdem in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und arbeitet am Aufbau einer solidarischen Wohnungsgenossenschaft mit. (Foto: Lauren McKown)
 
Logo: Kongress Zukunft für alle

Der Kongress Zukunft Für Alle findet vom 25. bis 30. August 2020 online und in Leipzig statt. agora42 ist Medienpartnerin des Kongresses.

Mehr Informationen hier: www.zukunftfueralle.jetzt/kongress/

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