Ökoliberal – Lassen wir den Markt nach nachhaltigen Wegen suchen | Philipp Krohn

MarktständeFoto: Lisheng Chang | unsplash

 

Ökoliberal

Lassen wir den Markt nach nachhaltigen Wegen suchen

Text: Philipp Krohn | Gastbeitrag | veröffentlicht am 13.07.2023

Nachhaltigkeit braucht Freiheit, so FAZ-Wirtschaftsredakteur Philipp Krohn in seinem Buch Ökoliberal (2023). Im Folgenden erklärt Krohn, warum das der Fall ist und welche Freiheit überhaupt gemeint ist. Damit macht er den Aufschlag zu einem Austausch mit Reinhard Loske zur Frage, wie sich Ökologie und Liberalismus, Umweltschutz und Freiheit verbinden lassen.

Ökologisch ist von der Ampelkoalition in Berlin wenig zu erwarten. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich mit dem Versuch verhoben, die Wärmewende mit der Peitsche voranzutreiben. Erst als sein ursprünglicher Gesetzentwurf überarbeitet und entschärft wurde, konnten sich die drei Partner darauf einigen. Nun verbreitet er die Erzählung, mehr sei nicht herauszuholen. Statt die Ursache für die grundlegenden Irritationen zu suchen.

Die Ampel begann als vielversprechendes Projekt für Freunde der Nachhaltigkeit. In ihrem Koalitionsvertrag fand sie eine gesunde Balance aus Fortschrittsfreude und ökologischem Problembewusstsein. Ein Politikverständnis schien sich zu zeigen, dass den Herausforderungen von Klimawandel und Artenschwund mit Zutrauen in Innovationen begegnet.

Nun aber ist das Kind in den Brunnen gefallen und wird sich nicht mehr so leicht wieder herausheben lassen, weil die inhaltlich treibenden Kräfte der Regierung – Grüne und FDP – im Wettbewerb mit dem politischen Gegner ihre jeweils schlechte Seite hervorgekehrt haben. Und in der SPD frohlocken schon die alten Industrie-Schlachtrösser, der kommende Wahlkampf werde nicht ums Klima geführt. Worst of Three Worlds!

Umweltschutz versus Freiheit?

Die Grünen vertrauen darauf, Menschen mit dirigistischer Detailliebe zum ökologischen Glück zu führen. Allein die Regelung, dass Bürger ab 80 Jahren von der Pflicht zur erneuerbar betriebenen Heizung ausgenommen werden, hätte die Verantwortlichen stutzig machen sollen. Die FDP dagegen trägt den Begriff der Technologieoffenheit selbst dann wie ein Mantra vor sich her, wenn ihr nachgewiesen wird, dass eine angestrebte Lösung energetisch sinnlos bleiben wird. Und fundamentaler: Mit welchen liberalen Politiker/innen würden Sie sich gern für ein Abendessen verabreden, um über Biodiversität zu diskutieren?

Wer sich aber mit der Geschichte des Liberalismus beschäftigt, wird feststellen, dass eine konstruktive Synthese leicht möglich wäre. In Politikerdeutsch formuliert: Die Grünen müssen vom Dirigismus runterkommen, dem (gelenkten) Markt mehr vertrauen und Innovationen ohne politische Vorentscheidungen zulassen. Von der FDP dagegen muss man erwarten können, dass sie ein größeres Problembewusstsein für die Lage der Welt entwickelt: Weg vom Fossilen – selbst wenn das bedeutet, dass Elemente des bisher bekannten Wohlstands verschwinden werden.

Der Ökoliberalismus bietet dafür viele gute Anknüpfungspunkte. Drei wesentliche Aspekte zeichnen ihn aus: 1. Eine Anerkennung der biophysikalischen Begrenztheit der Welt. Ihre Missachtung hat die Ökokrise seit dem Moment verschärft, in dem wir davon ein Bewusstsein entwickelt haben – also etwa der Zeit, in der der Bericht Die Grenzen des Wachstums an den Club of Rome erschienen ist (1972). 2. Das Vertrauen darauf, dass die Marktwirtschaft am besten geeignet ist, Ökologie und Freiheit in Einklang zu bringen. Der Emissionshandel hat durch harte Beschränkungen in der Industrie den CO2-Ausstoß seit Einführung im Jahr 2005 im gewünschten Umfang reduziert, warum sollte ihm das nicht auch in den Sektoren Wohnen und Verkehr gelingen? 3. Weil die mangelnde Nachhaltigkeit ihre Ursache in stetig verschobenen Konsumnormen hat, ist eine Rückkehr zum rechten Maß erstrebenswert.

Verkürzter Liberalismus und ökologischer Moralismus

Ein Blick auf die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Freiheit zeigt, dass das Verständnis einiger FDP-Politiker zu bequemen Antworten führt. Natürlich steht die Unversehrtheit des Individuums für Liberale im Vordergrund. Aber schon John Stuart Mill, ein früher Öko, freute sich auf einen Zustand, in dem sich die Wirtschaftsdynamik nicht mehr auf Kosten der Natur fortsetze. John Rawls gibt in Politischer Liberalismus (zuerst 1993) Hinweise darauf, dass der Freiheitsbegriff der FDP (keiner kann mir meinen Porsche, mein Steak und meinen Flug nehmen) zu unterscheiden ist vom Freiheitsbegriff, der konstitutiv für eine Demokratie ist: die fundamentalen Menschenrechte, auf die sich alle Bürger einigen würden, bevor sie sich gemeinsam eine Verfassung geben. Das vermeintliche Recht, energiefressenden Wohlstand zu genießen, verkommt in Rawls‘ Kategorisierung zu einem Interesse auf Parteienebene, das aber durch den Rückgriff auf den Verfassungswert der Freiheit moralisch überhöht wird.

Zum Moralisieren neigen aber auch Ökos. Noch mehr Gift für die Debatte! Die Initiative „Letzte Generation“ klebt sich auf Straßen und an Pipelines fest, ihre Gründer haben nach der Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Dialog den späteren Bundeskanzler Olaf Scholz regelrecht angeschrien. Dass ihre zwei politischen Hauptforderungen ausgerechnet das für die Bahn defizitäre Neun-Euro-Ticket und das arg defensive Instrument eines Tempolimits auf Autobahnen sind statt ein radikaler Emissionshandel, zeigt die Beschränkung moralischer Politik.

Ökoliberale Vordenker

Doch im Ökoliberalismus finden sich noch weitere konstruktive Köpfe. Der indische Philosoph und Ökonom Amartya Sen, Nobel-Gedächtnispreisträger und Empfänger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, hat einiges beizutragen: Mit seinem Verständnis von Entwicklung als Freiheit bietet er ein komplexes Leitbild, in dem hemmungslosem Konsum seine untergeordnete Rolle zugewiesen wird. Zudem regt er an, dass eine einseitige Ausrichtung auf menschliche Bedürfnisse dem Umgang mit der Ökokrise nicht gerecht werde.

Das überraschendste Vorbild des Ökoliberalismus ist Friedrich August von Hayek. Er hat die Philosophie Adam Smiths vor dem Hintergrund der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts in Weg zur Knechtschaft (zuerst 1944) in die industrielle Zeit übersetzt und im Kern auf dieselben Prinzipien gesetzt: freie Preisbildung, Arbeitsteilung, Wettbewerb. Es sei eine Anmaßung von Wissen, wenn Bürokraten glaubten, technische Entwicklungen voraussehen zu können. In Preisen spiegelten sich Informationen von Tausenden einzelnen Akteuren, ihnen solle man die Lenkungsfunktion überlassen.

Hayek ist zurecht umstritten, weil er einige politische Entwicklungen falsch eingeschätzt hat. So arbeitete der Chicago-Ökonom eng mit dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet zusammen. Für viele Libertäre wurde er zum Idol, weil er die angebotspolitische Wende unter Reagan und Thatcher inspirierte. Er hatte aber schon in den vierziger Jahren einen klaren Blick auf Grenzen des Marktes. Für Umweltprobleme schlug er vor, was heute als CO2-Preise bekannt ist – und bei schweren Verwerfungen sogar Verbote.

Markt und planetare Grenzen

Der Ökoliberalismus ist keine zusammenhängende Schule Gleichgesinnter. Er ist eine eklektizistische Denkrichtung, die versucht, die Grenzperspektive, wie sie durch den Club-of-Rome-Bericht sowie die beiden Ökonomen Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen aufgezeigt wurde, mit der Marktperspektive der liberalen Ökonomik von Smith bis Daren Acemoğlu zu vereinen. Deckeln wir den Naturverbrauch und lassen darunter den Markt agieren, statt zu erlauben, dass Achtzigjährige weiter fossil heizen dürfen. Lassen wir den Markt nach Wegen suchen, wie wir mit Erneuerbaren fliegen können. Und finden wir gemeinsam das rechte Maß, ab dem ressourcenfressender und senkenbelastender Konsum nicht mehr adäquat ist. Das könnte auch für die Ampel ein Maßstab sein. Dann schaffen wir das mit der Nachhaltigkeit! ■

Philipp Krohn
Philipp Krohn hat Volkswirtschaft und Germanistik studiert und ist Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er über wirtschafts- und sozialpolitische Themen schreibt und für die Reportage-Seite „Menschen und Wirtschaft“ zuständig ist. Sein Buch Ökoliberal. Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht ist im März 2023 erschienen (Frankfurter Allgemeine Buch).
Ökoliberal – Cover des Buches

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