Ökologie und Liberalismus – Für den Klimaschutz brauchen wir ein zeitgemäßes Freiheitsverständnis, das Begrenzung anerkennt | Reinhard Loske

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Ökologie und Liberalismus

Für den Klimaschutz brauchen wir ein zeitgemäßes Freiheitsverständnis, das Begrenzung anerkennt

Text: Reinhard Loske | Gastbeitrag | veröffentlicht am 29.06.2023

Wie lassen sich Klimaschutz und Freiheit bzw. Ökologie und Liberalismus miteinander versöhnen? Mit der jüngst vom Zentrum Liberale Moderne vertretenen These, Klimaschutz lasse sich letztlich nur mit Hilfe des Emissionshandels wirklich voranbringen, droht eine Verengung von Klimapolitik auf Marktanreize, so Reinhard Loske. Wie Loske in seinem neuen Buch Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion argumentiert, bedarf es eines erweiterten Freiheitsverständnisses, das auf Augenhöhe der ökologisch-sozialen Herausforderungen agiert und die Dimension der Begrenzung und Mäßigung systematisch mitdenkt.

Die Diskussion darüber, wie sich die Begrenzungsimperative der Ökologie und der politische Liberalismus verbinden lassen, hat in Deutschland eine durchaus respektable Tradition. Einen Höhepunkt dieser Diskussion bildeten etwa die 1971 verabschiedeten „Freiburger Thesen“ der FDP, in denen es schnörkellos hieß: „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen.“ In den 1980er-Jahren waren es dann vor allem die sogenannten „Ökolibertären“ bei den Grünen, die liberales Gedankengut in die neu gegründete Partei einzubringen versuchten, nicht zuletzt die Idee der ökologischen Marktwirtschaft sowie das Lob der kleinen Einheit und der Maxime „Hilfe zur Selbsthilfe“. Insgesamt blieb ihr Fußabdruck in der grünen Programmatik jedoch eher überschaubar. Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag 2013 keimten die Debatten zur Verbindung von Ökologie und „liberalem Erbe“ bei den Grünen noch einmal auf, wurden aber eher implizit als explizit geführt. (Mehr dazu)

Nun gibt es einen neuen Anlauf, Umweltschutz und Liberalismus zu integrieren, diesmal allerdings mit stark wirtschaftsliberaler Konnotation – und weniger mit einer umfassenden zivilgesellschaftlichen und pluralitätsorientierten Grundmelodie. Unter dem plakativen Titel Freiheit und Klimaschutz miteinander versöhnen haben Danyal Bayaz und Ralf Fücks unter dem Dach des Zentrums Liberale Moderne jüngst die These präsentiert, der einzig erfolgversprechende Weg zur Erreichung der Pariser Klimaziele führe über „ökologisch wahre Preise“, die es vor allem mittels des Emissionshandels zu erreichen gelte. Nur so ließen sich Erfindungsgeist und Innovationsfreude im notwendigen Umfang stimulieren. Würde zudem eine soziale Kompensation der fiskalischen Belastung erfolgen, sei letzten Endes auch mit gesellschaftlicher Akzeptanz zu rechnen. Flankiert wird die starke Betonung ökologisch wahrer Preise, technischer Ökoinnovationen und grünen Wachstums mit dem Hinweis, nun gelte es staatlicherseits, Planungsverfahren zu beschleunigen, die Digitalisierung voranzubringen („Digital first!“) und der Industrie keine übermäßigen Lasten aufzubürden, um ihr grüne Investitionen zu ermöglichen. Rhetorisch scharf abgegrenzt wird das Plädoyer für eine grüne Marktwirtschaft gegen drei andere Ansätze: Ordnungsrecht und Verbote werden als „lähmendes Unterfangen“ bezeichnet, Staatsausgaben und Förderprogramme als potenziell „wettbewerbsverzerrend“ sowie „Anspruchshaltungen fördernd“ und wachstumskritische Ansätze als „zukunftsängstlich“ und „selbstgenügsam“. Den beiden Autoren graut es vor einem „Schrumpfgermanien“.

Als ökologischer Ökonom, der sich in seinem akademischen, publizistischen und vor allem politischen Leben umfassend und stets fördernd mit der Rolle ökonomischer Instrumente in der Klimapolitik befasst hat, möchte ich der von Bayaz und Fücks vertretenen Verengung der Klimapolitik auf Marktanreize deutlich widersprechen. Sie ist einseitig, unterschätzt die Größe der Klimaherausforderung als gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe und reduziert das menschliche Wirtschaften auf ein Reiz-Reaktions-Schema. Dies nimmt keineswegs den „ganzen Menschen“ in den Blick, nicht einmal das „Ganze der Wirtschaft“. Es ist die Figur des individualnutzenmaximierenden Homo oeconomicus, die hinter jedem Argument von Bayaz und Fücks hervorlugt, weniger die des aufgeklärten Bürgers und der aufgeklärten Bürgerin.

Ökoliberale Entwürfe

Doch beginnen wir mit dem Positiven: Wegen des aktuellen Totalausfalls der FDP bei der Entwicklung einer überzeugenden ökoliberalen Idee von Wirtschaft und Gesellschaft ist es gut, dass sich nun andere des Themas annehmen. Philipp Krohn etwa zeigt in seinem jüngst erschienenen Buch Ökoliberal, wie eine Verbindung von freiheitlichem und ökologischem Denken aussehen könnte, auch indem er auf eine beeindruckende Ahnenreihe liberaler Ökonomen von John Stuart Mill über Friedrich August von Hayek bis Amartya Sen zurückgreift. Man muss nicht alle Einschätzungen von Krohn teilen, vor allem der rosarote Blick auf die angeblich „grüne“ Seite Hayeks wirft Fragen auf, aber inspirierend ist seine Behandlung der ökologischen Freiheitsfrage in der Mischung aus ökonomischen Anreizen und individuellen Lebensstiländerungen allemal.

Auch zu Bayaz und Fücks ist zunächst positiv zu sagen, dass sie sich bemühen, ein ökoliberales Konzept zu entwerfen, in dem Eigenverantwortung, Märkte, Wettbewerb, Anreize, Freiheit und Dynamik zentrale Elemente sind. Wer wollte bezweifeln, dass der Kapitalismus ein intelligentes Biest ist, das seinen Innovations- und Wachstumsdrang immer wieder neu auszurichten vermag, solange sich neue Sphären des zu Erobernden und Kolonisierenden auftun. Gerade das zeichnet ihn ja in seiner gewaltigen produktiven wie destruktiven Kraft aus. (Mehr dazu) Der Kapitalismus ist eben gleichermaßen ein „Effizienzrevolutionär“ (Amory Lovins) und ein „Allesfresser“ (Nancy Fraser). Josef Alois Schumpeter und seine „schöpferische Zerstörung“ lassen grüßen.

Richtig ist, dass Instrumente wie der Emissionshandel oder CO2-Steuern notwendig sind, um den Ausstoß klimaverändernder Spurengase mit einem Preisschild zu versehen und so ein grünes „Level Playing Field“ für alle Marktakteure zu schaffen. Aber die Sicherstellung ökologisch „wahrer“ Preise durch die sukzessive Internalisierung externer Kosten (wie der Klima- oder Gesundheitsschäden) in die Preisbildung ist nur eine notwendige, jedoch keineswegs hinreichende Bedingung für die anstehende ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Im besten Fall befördert sie ökologische Richtungssicherheit im ökonomischen Strukturwandel.

Das ist mehr als nichts, aber auch bei weitem nicht alles. Denn die Dimension der Herausforderungen in den Bereichen Klimaschutz, Artenschutz, Bodenschutz, Waldschutz, Wasserschutz, Meeresschutz und ganz allgemein Ressourcenschonung ist in den nächsten ein bis zwei Dekaden so groß, dass das alleinige Setzen auf ökonomische Anreizinstrumente fast schon als naiv oder mindestens gutgläubig gelten muss.

Es ist falsch, wenn Bayaz und Fücks Ordnungsrecht, Staatsausgaben und die individuelle wie gesellschaftliche Suche nach dem rechten Maß wahlweise als lähmend, wettbewerbsverzerrend oder zukunftsängstlich abtun. In diesen drei Sphären nämlich stehen gerade aus einer ökologischen Perspektive ebenso fundamentale Neuausrichtungen an wie auf dem Felde der Herstellung ökologisch „wahrer“ Preise selbst.

Ordnungsrecht: Freiheitsbeschneidung oder Freiheitsermöglichung?

Man muss kein risikoaverser Verbotsapostel sein, um zu erkennen, dass vorsorgeorientierte Rechtsvorschriften, Anforderungen und Standards essenziell zum Instrumentenkasten einer jeden guten Nachhaltigkeitspolitik gehören. Das hat die Vergangenheit gelehrt, vom DDT- bis zum FCKW-Verbot, von der deutschen Großfeuerungsanlagenverordnung bis zur europäischen Festlegung von verbindlichen Fischereiquoten, von Naturschutzauflagen bis zum Vorschreiben anspruchsvoller Grenzwerte im Grundwasserschutz. Und das wird in Zukunft noch deutlicher werden, wenn es darum geht, Wohngebäude, Produktionsstätten, Energieerzeugungsanlagen, die Land- und Meeresnutzung, Infrastrukturen und das Mobilitätssystem klimaverträglich und für die planetare Gesundheit förderlich auszurichten.

Kritisch zu blicken ist auf staatliche Regulierung dort, wo sie übergriffig, überbürokratisiert und überzentralisiert agiert, wo sie von Rahmensetzung und Zielerreichungskontrolle auf Mikrosteuerung und Dauerintervention umzustellen versucht. Gerade um das zu verhindern, braucht es freiheitlich denkende Menschen, für die Zukunftsoffenheit ein hohes Gut ist.

Ordnungsrecht aber generell als etatistische Anmaßung von Wissen und Lähmung des Wirtschaftens zu denunzieren, entspricht einem verengten Bild der Gesellschaft und der Rolle der Ökonomie in ihr. Wissenschaftlich gut begründete Ziele und politische Klarheit in der Regulierung haben im Übrigen für alle Wirtschaftsakteure auch etwas Entlastendes, ja Befreiendes. Produzierende wie Konsumierende wissen, woran sie sind, und können sich auf Alternativen konzentrieren. Intelligente Regulierung bedeutet immer auch die Schaffung neuer Märkte für Besseres.

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Staatsausgaben: Wettbewerbsverzerrung oder Ermöglichungsstrategie?

Man muss kein planungsseliger Staatsfixierter sein, um zu erkennen, dass öffentliche Ausgaben und staatliche Leistungsfähigkeit heute wesentliche Schlüssel zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen sind. Ein schwacher und unterfinanzierter Staat kann weder ein guter Hüter von ökologisch-sozialen Interessen sein noch faire Wettbewerbsbedingungen für alle Marktakteure sicherstellen.

Dabei ist im Verhältnis von Staat und Wirtschaft deutlich zu unterscheiden zwischen einem korporativ-lobbyistischen und einem kooperativ-zielorientierten Ansatz. Ersterer ist geprägt durch die Dominanz von machtvollen und durchsetzungsstarken Interessengruppen und Großunternehmen, der Herrichtung politischer Rahmenbedingungen nach deren Wünschen sowie der direkten wie indirekten Subventionierung und Begünstigung von Gegenwartsinteressen gegenüber Zukunftsbelangen. Im kooperativ-zielorientierten Verhältnis von Staat und Wirtschaft hingegen geht es um gemeinsame und verbindliche Ziele, klare Verantwortungszuschreibungen, gesellschaftlich eingebettetes Unternehmertum, Ergebnisorientierung, Leistungserbringung und Zielerreichungskontrolle.

Auch hier wieder: So richtig es ist, vor Subventionitis und ihren Gewöhnungseffekten sowie potenziellen Wettbewerbsverzerrungen zu warnen, so falsch ist es, im demokratischen Staat nicht jenen kooperativ agierenden Zukunftsgestalter, Investor, Innovator, Förderer und Ermutiger sehen zu wollen, der er sein kann – oder vielmehr sein sollte. Muss man immer wieder darauf hinweisen, dass es das Internet, die Erdbeobachtung durch Satelliten oder die dynamische Entwicklung der erneuerbaren Energien ohne massive Staatsausgaben, reichhaltige öffentliche Forschungsförderung oder staatlich vorgegebene Kostenumlagen nicht gegeben hätte?

Es kann aus einer Nachhaltigkeitsperspektive nicht darum gehen, Staatsausgaben pauschal unter den Generalverdacht der Ineffizienz zu stellen, sondern nur darum, dieselben systematisch für zukunftsfähige Entwicklungen einzusetzen und dafür, im Prozess der ökologischen Transformation größtmögliche Gerechtigkeit und Fairness walten zu lassen. (Mehr dazu) Es ist deshalb vernünftig, sämtliche Staatsausgaben einem Nachhaltigkeits-Check zu unterziehen und umweltschädliche Subventionen – allein in Deutschland 65 Milliarden Euro pro Jahr – komplett zu streichen. Mit dem so freigemachten Geld lässt sich zu einem guten Teil finanzieren, was wirklich der Zukunft zugewandt ist.

Nicht jeder wird so weit gehen wollen wie die Ökonomin Mariana Mazzucato, die den Staat selbst in der Rolle des Unternehmers sieht. Aber die Zuspitzung der Debatte auf eine vermeintlich antagonistische Staat-Markt-Dichotomie ist nicht mehr zeitgemäß. Wir können sie uns im Angesicht der Krisen gar nicht mehr leisten, weil wir den Staat, die Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbraucher, Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen für die ökologische Transformation brauchen – in ihren je spezifischen Rollen.

Die Suche nach dem rechten Maß: Verzicht oder Verantwortung?

Man muss kein freudloser Verzichtsprediger sein, um zu erkennen, dass die Bewältigung oder mindestens Einhegung der ökologischen Krise nicht nur einen technischen und ökonomischen Strukturwandel erfordert, sondern mindestens ebenso sehr einen Wandel von Kultur und Lebenswelt, von Werten und Wertschätzungen. Die fast alle Religionen und Philosophien durchziehenden Fragen danach, wo das „rechte Maß“ liegt und wie wir unser Verhältnis zur Natur gestalten wollen, um gut in, mit und von ihr leben zu können, kann uns kein Windrad, keine Wärmepumpe, keine Wasserstofffabrik und kein Elektroauto abnehmen. Einladende Zukunftsbilder und Zukunftsnarrative der Nachhaltigkeit lassen sich eben nicht allein technisch darstellen und mit dem Rechenstift schreiben, so wichtig beide Dimensionen auch sind.

Die größte Schwäche der Argumentation von Bayaz und Fücks liegt denn auch darin, dass sie das weite Feld zwischen den Polen Staat und Markt nicht wirklich in den Blick nehmen. Täten sie es, würde ihnen auffallen, dass sich hier in Bezug auf kooperative Wirtschaftsformen, neues Unternehmertum und ökologisch-soziale Gemeinwohlkonzepte unendlich viel tut. Die Ökonomie des Teilens (Share Economy), des Sorgens (Care Economy), des Zusammenwirkens (Collaborative Economy), der Gemeinschaftsgüter (Commons Economy), der Langlebigkeit (Repair Economy), der Subsidiarität (Regional Economy), des Selbermachens (Subsistence Economy), des Reduzierens (Degrowth Economy), der Krisenrobustheit (Resilient Economy), der Lebensdienlichkeit (Convivial Economy), der Entfremdungsüberwindung (Prosumer Economy), der Gerechtigkeit in den Austauschbeziehungen (Fair Economy) oder des Verantwortungseigentums (Steward-Ownership), all diese Ideen und Praktiken werden weltweit intensiv diskutiert und auf ihr Potential hin abgeklopft, welchen Beitrag sie zu einer insgesamt nachhaltigen Wirtschaft und einem guten Leben leisten können. (Mehr dazu)

Dadurch, dass Bayaz und Fücks diese Pluralität des Wirtschaftslebens ignorieren und allein auf die Karte CO2-Bepreisung setzen, zeigen sie eine bemerkenswert unterkomplexe Problemlösungsphantasie. Wo sich Menschen aus freien Stücken und Empathie zu freien Kooperationen zusammentun, in denen Geld eher eine untergeordnete oder dienende Rolle als Gestaltungsmittel einnimmt, sollte eine Gesellschaft, die eine partizipative Bürgergesellschaft sein möchte, eigentlich ein Riesenpotential für die nachhaltige Entwicklung sehen.

Letztlich verbirgt sich hinter den skizzierten Konflikten um den richtigen Weg zur ökologischen Transformation die Frage nach einem zeitgemäßen Freiheitsverständnis. Darüber, dass Freiheit mehr ist, als frei auf Preissignale reagieren zu können, sollte eigentlich Einvernehmen bestehen. Die Debatte darüber, was individuelle und gesellschaftliche Freiheit in Zeiten der sich verschärfenden ökologischen Krisen tatsächlich auszeichnet, nimmt nun Fahrt auf. Die Richtung sollte dabei lauten: Die „Freiheit von“ (einer eskalierenden Umweltkrise) und die „Freiheit zu“ (der gemeinsamen, leidenschaftlichen und zugleich vernunftgesteuerten Gestaltung einer zukunftsfähigen Welt) konsequent zusammendenken. ■

Reinhard Loske
Reinhard Loske, Jahrgang 1959, ist Vorstandsmitglied der Stockholmer Right Livelihood Foundation und engagiert sich im Berliner Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung. Er war als Bundestagsabgeordneter der Grünen federführend an der Einführung der Gesetze zur ökologischen Steuerreform (1999) und zum Emissionshandel (2005) beteiligt und wurde dafür vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft mit dem „Adam-Smith-Preis“ ausgezeichnet. Im Verlag Natur und Text ist sein neues Buch Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion erschienen.
Cover: "Ökonomien mit Zukunft – Jenseits der Wachstumsillusion"

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