Foto: Mika Baumeister | unsplash
Ökoliberalismus: Mehr als „wahre“ Preise
Eine Replik auf Philipp Krohn
Text: Reinhard Loske | Gastbeitrag | veröffentlicht am 18.07.2023
Nachhaltigkeit braucht Freiheit, aber mit Staatsaversion, Marktidealisierung und der Unterschätzung des Potenzials demokratischer Aushandlungsverfahren ist man schlecht beraten, so Reinhard Loske in seinem Kommentar zu Philipp Krohns Essay über den Ökoliberalismus.
Philipp Krohns Essay Ökoliberal einer Kritik zu unterziehen, ist eine ziemliche Herausforderung. Der Text enthält einfach sehr viel Richtiges, jedenfalls im Grundsatz. Dabei stechen vier Kernargumente ins Auge:
Planetare Grenzen? Gibt es, sind wissenschaftlich valide ermittelt und entsprechend einzuhalten! Leitmotiv für die anstehende Transformation? Liegt auf der Hand, ein reflektiertes Freiheitsverständnis und hohes Umweltbewusstsein zeitgemäß verbinden! Geeignete Instrumente? Sind vorhanden, Emissionsbegrenzung und Emissionsrechtehandel, angemessene Mengen- und Zeitziele für den Umwelt- und Klimaschutz politisch festlegen und deren Einhaltung den wettbewerblichen Entdeckungsverfahren „des Marktes“ überlassen – bei größtmöglicher Technologieoffenheit und ökologisch „wahren“ Preisen! Und das Problem mit dem ressourcenverzehrenden Konsumniveau, der allgegenwärtigen Wachstumsfixierung und dem Auffressen von technischen Effizienzgewinnen durch „Rebound“-Effekte? Kriegen wir hin, als aufgeklärte liberale Gesellschaft werden wir das „rechte Maß“ im freien Diskurs schon finden und Fortschritt auch unter dem „Deckel“ harter Umweltziele neu definieren können!
Gäbe es eine ökoliberale Partei, wie sie Philipp Krohn vorschwebt, so müsste man als umweltbewusster Mensch wohl ernsthaft erwägen, ihr bei Wahlen die Stimme zu geben. Den demokratischen Wettstreit mit eher ökosozialen („Klimagerechtigkeit“), eher wertkonservativen („Bewahrung der Schöpfung“) oder eher ökolibertären Ansätzen („Befreiung von ökonomischer Macht und sinnentleertem Konsumismus“) müsste eine ökoliberale Partei á la Krohn jedenfalls nicht scheuen.
Status quo des Liberalismus
Die Wirklichkeit liberaler Parteien und ihrer Politik ist in den allermeisten Staaten aber leider eine vollkommen andere. Besonders ernüchternd ist diesbezüglich der Blick nach Deutschland: Die FDP gefällt sich trotz drastischer Eskalation der Klima- und Biodiversitätskrise darin, klimapolitische Sektor-Ziele aufzuweichen und gleichzeitig neue Autobahnen, neue Erdgaserschließungen durch Fracking, neue Erdgasbohrungen im Wattenmeer und neue Flüssiggasterminals an den Küsten zu propagieren. Den Abbau umweltschädlicher Subventionen wie des Dienstwagenprivilegs oder diverser Industrieprivilegien verhindert sie ebenso beharrlich wie die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen. Der systematischen Abschwächung von Naturschutzzielen und Bürgerbeteiligungsrechten widmet sie unter der Flagge des Bürokratieabbaus allergrößte Energie.
Und unter dem Schlagwort Technologieoffenheit unterbreitet sie ökologisch fragwürdigste Vorschläge, vom Verheizen von Holz, das wir für den natürlichen Klimaschutz und die Bauwende so dringend brauchen, über das Verbrennen von Biogas, das mit einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft und zusätzlichen Monokulturen einherginge, bis zur Nutzung von energieintensiv erzeugtem „grünem“ Wasserstoff für Niedertemperaturwärme in Gebäuden, obwohl jeder wissen kann, dass dieser zukünftig vor allem in der Industrie und im Schwerlastverkehr gebraucht wird.
Doch das Bashing der Lindner-FDP, ihrer mangelnden umweltpolitischen Integrität und ihrer Verwobenheit mit machtvollen Lobbyinteressen ist im Grunde langweilig. Ihr ökologiepolitisches Versagen ist offenkundig. Wenn ich zwischen den Zeilen richtig lese, hegt auch Philipp Krohn hier keine allzu großen Hoffnungen.
Beschränkungen des Liberalismus
Reden wir also in der gebotenen Kürze über das, was Philipp Krohn in seinem ökoliberalen Modell ein wenig zu rosig betrachtet oder durch Weglassungen zu stark vereinfacht.
Es trifft zu, dass sich in der Sichtweise von einzelnen liberalen Ahnen auf die Wirtschaft ökologisch inspirierte Einsprengsel finden. Das beginnt mit Adam Smith (1723–1790), der strikte Brandschutz- und Hygieneregeln für die Städte propagierte, geht über John Stuart Mill (1806–1873), der die Schönheit der Natur pries und sich eine „stationäre“ – also bei Sättigung nicht mehr wachsende – Wirtschaft vorstellen konnte, und hört bei William Stanley Jevons (1835–1882) nicht auf, der als erster den „Rebound-Effekt“ beschrieb, also das Paradoxon, dass technischer Fortschritt wegen der durch ihn selbst induzierten Wachstumseffekte nicht zu einem Rückgang des allgemeinen Ressourcenverbrauchs führt, sondern zu dessen Anstieg.
Das Argument, Liberalismus und Ökologie seien quasi natürliche Verbündete, steht aber dennoch auf tönernen Füßen. Trotz zartgrüner Anklänge bei Smith, Mill, Jevons und vielleicht sogar bei Friedrich August von Hayek ging es dem Liberalismus stets zuvörderst um individuelle, bürgerliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Freiheitsrechte – was man durchaus als zivilisatorischen Fortschritt begrüßen sollte. Aber die Interessen und Bedürfnisse von ärmeren Menschen in der eigenen Gesellschaft oder gar in den früheren Kolonien, von zukünftigen Menschheitsgenerationen oder der nicht-menschlichen Kreatur – von Tieren, Pflanzen und anderen Lebewesen – standen nie wirklich im Zentrum des Liberalismus. Auch unmäßige ökonomische Machtballung, im ordoliberalen Kanon eigentlich etwas Verwerfliches und Einzuhegendes, hat die meisten Liberalen in der Praxis kaum bekümmert.
Freiheit des Marktes
Die Sichtweise von Ludwig von Mises (1881–1973), dem wichtigsten akademischen Lehrer von Hayeks, dürfte den Grundton vieler Liberaler dagegen ziemlich gut getroffen haben. Bei ihm hieß es unzweideutig: „Der Markt bildet eine Demokratie, bei der jeder Pfennig einen Stimmzettel bedeutet. … Die demokratische Wahlordnung mag eher als ein unzulänglicher Versuch angesehen werden, im politischen Leben die Marktverfassung nachzubilden. Auf dem Markt geht keine Stimme verloren.“ Die hier durchscheinende Staatsaversion kann in politischen Setzungen nur eine „Anmaßung von Wissen“ erkennen, die sich erdreistet, klüger sein zu wollen als die wettbewerblichen Entdeckungsverfahren des Marktes. Ob von Mises und von Hayek heute im Angesicht der erdrückenden wissenschaftlichen Evidenz von Klima- und Biodiversitätskrise ebenfalls von „Wissensanmaßung“ sprechen würden, muss offenbleiben. Denkbar wäre es jedenfalls.
Das alles sind keine Argumente dagegen, ein ökoliberales Ideengebäude zu entwerfen, das dann auch praxisrelevant werden kann. Im Gegenteil, die Arbeit lohnt sich auf jeden Fall, auch im Rückgriff auf Vordenkerinnen und Vordenker der Vergangenheit, ihre Einsichten und Irrtümer. Aber der Glaube, die Fundamente des Liberalismus seien bereits zukunftsfest und unverrückbar gelegt und nunmehr gelte es nur noch, die „grünen Wände“ und das „grüne Dach“ darauf zu setzen, ist eingedenk der gewaltigen Dimension der ökologischen Krise sowie des Agierens liberaler Parteien doch ein wenig realitätsfern.
Mehr als „wahre“ Preise
Es geht eben nicht nur um ökonomische Instrumente wie den Emissionshandel und grüne Märkte, grünen Konsum und grüne Technologien – so wichtig sie auch sind. Es geht mindestens ebenso sehr um Eigenrechte der Natur, die ideelle wie materielle Wertschätzung für das Elementare, die Böden, das Wasser, die Luft, das Klima, die Vielfalt des Lebendigen überhaupt, um die internationale wie generationenübergreifende Gerechtigkeit im Prozess der ökologischen Transformation – und nicht zuletzt um einen Kulturwandel, in dem das Bewusstsein obsiegt, dass für eine freudvolle und nachhaltige Gesellschaftsgestaltung alle gebraucht werden. Prinzipielle Staatsaversion, übertriebene Marktidealisierung und die Unterschätzung des Potenzials demokratischer Aushandlungsverfahren sind dabei keine guten Ratgeber.
Wirkliche Freiheit ist eben mehr als die individuelle Freiheit, rational auf Preissignale reagieren zu können – es geht um mehr als eine kleine Akzentverschiebung. Freiheit ist und bleibt gerade vor dem Hintergrund der ökologischen Krise letztlich eine Frage der Balance zwischen Materiellem und Immateriellem, Interessen und Werten, Eigensinn und Gemeinsinn, Markt und Staat, Wettbewerb und Kooperation, individueller Unabhängigkeit und sozialer Verantwortung, Gegenwart und Zukunft, Verstand und Herz.
Darunter geht es auch für Liberale nicht – bei aller Liebe zu ökologisch „wahren“ Preisen. ■

Reinhard Loske ist Volkswirt und Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Er lehrt u.a. an der Universität Witten/Herdecke und ist Vorstandsmitglied des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung sowie der Stockholmer Right Livelihood Foundation, die jährlich den Alternativen Nobelpreis verleiht. (loske.de) Gerade ist im Verlag Natur und Text sein neues Buch Ökonomie(n) mit Zukunft. Jenseits der Wachstumsillusion erschienen.
Foto: Julia Zimmermann, Berlin
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