Verantwortungseigentum | Interview mit Achim Hensen und Marilena Berends

GlühbirneFoto: Kari Shea | Unsplash

 

Verantwortungseigentum

Interview mit Achim Hensen und Marilena Berends

Eine Wirtschaft, in der es nicht mehr vornehmlich um die kurzfristige Maximierung von Gewinnen, sondern um Produkte und Dienstleistungen mit gesellschaftlichem Mehrwert geht: Das klingt gut. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass es sich dabei um mehr als um einen PR-wirksamen TED-Talk handelt? Die Purpose Stiftung (engl. Purpose = Bestimmung, Zweck) glaubt, dieses Anliegen mit einer neuen Unternehmensform vorantreiben zu können: dem sogenannten Verantwortungseigentum. Bei diesem sollen – anders als bei klassischen Eigentumsstrukturen – zwei zentrale Prinzipien rechtlich verbindlich festgesetzt werden: Eigenständigkeit und Zweckorientierung. Eigenständig soll ein Unternehmen sein und bleiben, indem es nicht mehr als Spekulationsgut verkauft werden kann. Die Mehrheit der Stimmrechte und damit die Kontrolle über das Unternehmen soll immer treuhändisch von Menschen gehalten werden, die mit dem Unternehmen und dessen Werten verbunden sind. Zweckorientierung meint, dass die Gewinne nicht in erster Linie den Eigentümer*innen zufließen, sondern in die Verwirklichung des Unternehmenszwecks investiert werden. Dies soll durch eine Bindung des Unternehmensvermögens an das Unternehmen umgesetzt werden. Die beiden skizzierten Prinzipien können Unternehmen in Deutschland laut Purpose-Stiftung bislang allerdings nur über Umwege rechtlich verbindlich realisieren. Um Verantwortungseigentum leichter umsetzbar zu machen, haben Rechtswissenschaftler*innen mittlerweile einen Gesetzentwurf für eine „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ ausgearbeitet, der bereits namhafte Unterstützer*innen aus Wissenschaft, Politik und Unternehmertum gefunden hat.

NACHGEFRAGT BEI ACHIM HENSEN (Mitgründer) UND MARILENA BERENDS (Communications Managerin) von Purpose Economy

Warum braucht es Verantwortungseigentum?

Achim Hensen: Ich würde mich der Frage gerne nähern, indem ich darauf eingehe, wer Verantwortungseigentum braucht. Da lassen sich vier Gruppen anführen: Erstens sind das Unternehmer*innen, die ein Unternehmen vor allem als eine Gruppe von Menschen begreifen, die zusammen eine Idee realisieren möchten. Für sie ist Gewinn das Mittel zum Zweck, und der Zweck ist die Unternehmensidee. Das Unternehmen ist also nicht primär dazu da, ihr Vermögen zu mehren. Das nennen wir Sinnorientierung. Diese Unternehmer*innen wollen außerdem, dass ihr Unternehmen selbstbestimmt bleibt. Die Macht über das Unternehmen soll keine handelbare Ware sein, sondern von Menschen ausgeübt werden, die eng mit dem Unternehmen verbunden sind. Das ist das Prinzip der Selbstbestimmung. Wenn Unternehmer*innen mit dieser Sichtweise das passende Rechtskleid suchen, brauchen sie Verantwortungseigentum.

Die zweite Gruppe sind die Kund*innen. Sie können sich sicher sein, dass sie nicht Mittel zum Zweck der Vermögensvermehrung sind. Vielmehr steht das Bedürfnis, das sie überhaupt zum Unternehmen bringt, im Zentrum des Tuns dieses Unternehmens. Auch hierzu ist Verantwortungseigentum der passende Hebel.

Die dritte Gruppe, die Verantwortungseigentum braucht, sind die Mitarbeiter*innen. Menschen, die in einem Unternehmen in Verantwortungseigentum arbeiten, können sich sicher sein, dass ihre Energie und Schaffenskraft dem Zweck des Unternehmens zugutekommen. Für ihre Motivation ist das enorm wichtig. Mitarbeiter*innen, die intrinsisch motiviert sind, also die ihre Arbeit um der Arbeit willen machen, weil sie an den Zweck dieser Arbeit glauben, können sich sicher sein, dass dieser Zweck tatsächlich im Zentrum steht.

Die vierte Gruppe sind die Kapitelgeber*innen. Wer in ein Unternehmen mit gebundenem Kapital investiert, kann darauf vertrauen, dass das Kapital der Realisierung der Unternehmensidee dient. Er oder sie weiß, dass das Steuerrad des Unternehmens nicht zu einem Spekulationsgut werden kann. Die Bindung des zukünftigen Vermögens an die Unternehmensidee kann für Investor*innen ausschlaggebend sein.

Marilena Berends: Verantwortungseigentum hat darüber hinaus auch positive Wirkungen auf gesellschaftlicher Ebene: Wenn Unternehmen ihren primären Zweck nicht mehr in der kurzfristigen Gewinnmaximierung haben, sondern in der Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwerts, dann wächst damit die Bedeutung intrinsischer Motivation als Motor des wirtschaftlichen Handelns. Motor verstanden als der Antrieb, warum ich eine Leistung bringe: Bin ich intrinsisch motiviert, arbeite ich also, weil mich das Ziel der Arbeit antreibt, oder geht es mir nur darum, möglichst viel Geld zu verdienen? Diese intrinsische Motivation ist unserer Meinung nach der stärkere Motor, in dem mehr Potenzial liegt.

Was macht Unternehmer*innen aus? Können wir alle Unternehmer*innen sein oder ist damit nur die Unternehmensspitze gemeint?

Achim Hensen: Die Antwort hängt davon ab, wie ich Unternehmertum definiere. Wenn ich die Definition nehme, ein*e Unternehmer*in sei eine Person, die zum Zweck der Gewinnmaximierung andere Menschen im Lohnverhältnis anstellt und ansonsten lediglich, dem neoliberalen Ökonomen Milton Friedman folgend, darauf achtet, nicht gegen Gesetze zu verstoßen, dann können nicht alle Unternehmer*in sein. Das ist aber nicht unser Verständnis.

Wir verstehen Unternehmen als eine Gruppe von Menschen, die zusammen an einer Idee arbeiten. Es gibt Menschen, die eine Idee erst einmal in die Welt bringen und sie gewissermaßen aus der Zukunft holen. Die Verwirklichung der Idee wird dann aber zu einem gemeinsamen sozialen Prozess. So verstanden ist Unternehmertum nicht etwas Festes. Der unternehmerische Akt besteht für mich darin, eine Idee zu haben und an ihrer Umsetzung zu arbeiten, trotz aller Risiken, die damit verbunden sein können. Und das passiert an vielen Orten in der Gesellschaft jeden Tag.

Ich verstehe Unternehmen aber auch nicht als Orte, an denen absolute Gleichheit herrscht. Es sind nicht alle in gleichem Maße unternehmerisch tätig. Es gibt Menschen, die sehr viel näher am Kern der unternehmerischen Idee stehen, weil sie beispielsweise schon länger dabei sind oder weil sie sich stärker damit identifizieren.

Marilena Berends: Verantwortungseigentum sorgt nicht zwangsläufig dafür, dass alle Mitarbeiter*innen dieselben Mitbestimmungsrechte haben. Aber Verantwortungseigentum kann die Grundlage dafür herstellen, dass sich alle im Unternehmen sicher sein können, an einer gemeinsamen Idee zu arbeiten. Auch wer nicht im klassischen Sinne unternehmerisch aktiv ist, kann trotzdem stark mit dem Unternehmen verbunden sein.

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Inwiefern handelt es sich bei Verantwortungseigentum um eine andere Eigentumsform?

Achim Hensen: Verantwortungseigentum ist eine bestimmte Form des Unternehmenseigentums und eine Alternative zu gewohnten Eigentumsstrukturen, die sich als Vermögenseigentum beschreiben lassen. Die Unternehmer*innen, die mit uns zusammenarbeiten, geben mit der Überführung ihres Unternehmens in Verantwortungseigentum nicht irgendein Recht ab, das sie eigentlich unbedingt behalten wollen. Sie betrachten Unternehmen nicht als ihr persönliches Vermögen. Sie sind vielmehr der Meinung, dass dieses Zugriffs- und Veräußerungsrecht eigentlich gar nicht Teil ihrer Vorstellung von Unternehmertum ist. Ein Unternehmen in Verantwortungseigentum soll kein Vermögenswert mehr sein, mit dem die Eigentümer*innen tun und lassen können, was sie wollen. Das Unternehmen und das Kapital sind dazu da, der Unternehmensidee zu dienen.

Wie steht das Konzept des Verantwortungseigentums zur Forderung, Unternehmen stärker zu demokratisieren?

Achim Hensen: Ich frage mich bei dieser Forderung, welches Bedürfnis hinter dem Demokratisierungswunsch in diesem Zusammenhang eigentlich steckt. Dass alle eine Stimme haben und gemeinsam über alles abstimmen? Ich denke nicht, dass das sinnvoll wäre, aber da müsste man sich noch grundsätzlicher über den Demokratiebegriff in diesem Kontext austauschen.

Ganz unabhängig davon ist es entscheidend für die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter*innen, dass die Unternehmen selbstbestimmt sind. Wie soll mehr Demokratie in einem Unternehmen möglich sein, das sich gar nicht selbst gehört? Grundlegend für den Ansatz von Purpose Economy und von Verantwortungseigentum ist die Frage: Wie wird Macht über ein Unternehmen organisiert? Aktuell gibt es zwei vorherrschende Mechanismen der Machtvergabe: Blut und Geld. Entweder ich bin in die richtige Familie geboren oder ich habe genug Geld, um die Macht über ein Unternehmen zu kaufen. Verantwortungseigentum hinterfragt diese Mechanismen. Die Macht über ein Unternehmen soll weder käuflich noch automatisch erblich sein. Damit wiederum kann Verantwortungseigentum dazu beitragen, dass innerhalb eines Unternehmens eine Kultur entsteht, in der sich die Mitarbeiter*innen stärker einbringen können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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